Was bedeutet AD(H)S?

Die Entstehung und Aufrechterhaltung einer ADHS lässt sich am besten durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren erklären. Dazu zählen sowohl neurobiologische Ursachen (z. B. genetische Veranlagung, Veränderungen im Dopaminhaushalt) als auch psychosoziale Einflussfaktoren, wie ungünstige Bedingungen im familiären Umfeld oder belastende Erfahrungen in Schule und Alltag.

Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn

Das wissenschaftlich anerkannte Erklärungsmodell zur Entstehung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) geht von einer gestörten Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnarealen aus – insbesondere jenen, die für Konzentration, Wahrnehmung und Impulskontrolle zuständig sind.

Diese Störung wird hauptsächlich durch ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter – insbesondere Dopamin und Noradrenalin – verursacht. Diese Botenstoffe sind wesentlich für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen.

Bei ADHS-Patient*innen ist die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt (dem Raum zwischen zwei Nervenzellen) oft vermindert. Diese Unterversorgung mit Dopamin beeinträchtigt die Weiterleitung von Informationen im Gehirn: Reize werden unzureichend gefiltert, Gedanken lassen sich schwer bündeln oder zu Ende führen. Das Gehirn kann neue Impulse nicht angemessen regulieren – was sich u. a. in Konzentrationsproblemen, innerer Unruhe und Impulsivität äußert.

Permanente Reizüberflutung – gestörte Reaktionshemmung

Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) können neue Reize und Impulse aufgrund von stoffwechselbedingten Funktionsstörungen im Gehirn nur unzureichend filtern. Dadurch wird die Informationsverarbeitung stark beeinträchtigt, was zu einer permanenten Reizüberflutung führt.

Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit gezielt auf eine Aufgabe zu richten. Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist gestört – also zur bewussten Steuerung von Verhalten, Gedanken und Emotionen. Gleichzeitig ist auch der Zugriff auf erlernte Fähigkeiten und gespeicherte Informationen eingeschränkt, was eine vorausschauende Handlungsplanung deutlich erschwert.

Da wichtige und unwichtige Reize kaum unterschieden werden können, wirken sämtliche Sinneseindrücke ungefiltert auf die Betroffenen ein. Dies führt häufig zu innerer Anspannung, Überforderung und einer deutlich verminderten Konzentrationsfähigkeit.

Erbliche Vorbelastung

ADHS zählt zu den neurobiologischen Störungen, bei denen die genetische Veranlagung eine zentrale Rolle spielt. Studien zeigen, dass etwa 10 bis 15 % der direkten Familienangehörigen von Kindern mit ADHS ebenfalls von der Störung betroffen sind – was auf eine familiäre Häufung hinweist.

Zwillingsstudien untermauern diesen Zusammenhang deutlich: Rund 80 % der eineiigen Zwillinge zeigen eine übereinstimmende ADHS-Symptomatik. Bei zweieiigen Zwillingen liegt die Übereinstimmung bei etwa 30 %.

Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass bis zu 80 % aller ADHS-Erkrankungen genetisch bedingt sind. Die erblichen Faktoren beeinflussen dabei vor allem die neurobiologische Reizverarbeitung, den Dopaminhaushalt und die Funktion bestimmter Hirnareale, die für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle verantwortlich sind.

Psychosoziale Einflüsse

ADHS ist keine Erziehungsstörung. Negative Kindheitserfahrungen oder eine „schlechte Erziehung“ gelten nicht als Ursache für die Entstehung von ADHS. Die neurobiologische Grundlage der Störung ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Dennoch können ungünstige psychosoziale Rahmenbedingungen den Verlauf, die Symptomschwere und die Entwicklung zusätzlicher Störungen – wie z. B. Aggressivität, Angst oder depressive Symptome – erheblich beeinflussen.

Zu den psychosozialen Risikofaktoren, die den Umgang mit ADHS zusätzlich erschweren können, zählen:

  • Aufwachsen in einer unvollständigen Familie (z. B. nur mit einem Elternteil oder ohne Eltern)
  • Psychische Erkrankungen eines Elternteils, insbesondere eine antisoziale Persönlichkeitsstörung des Vaters oder Alkoholkonsum in der Familie
  • Familiäre Instabilität: häufige Konflikte oder Trennung der Eltern
  • Niedriges Einkommen und beengte Wohnverhältnisse
  • Inkonsequente Erziehung: fehlende oder widersprüchliche Regeln
  • Ständige Kritik, Bestrafungen oder emotionale Vernachlässigung
  • Ein unstrukturierter Tagesablauf ohne klare Routinen

Solche Bedingungen können die Selbstregulation, emotionale Stabilität und soziale Entwicklung von Kindern mit ADHS zusätzlich beeinträchtigen.

Risikofaktoren im Mutterleib

Nikotin-, Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft sowie Frühgeburtlichkeit oder Sauerstoffmangel bei der Geburt können das Risiko für ADHS bei Kindern signifikant erhöhen. Wichtig ist eine gesunde Schwangerschaft und medizinische Vorsorge, um Entwicklungsrisiken zu minimieren.

Heutiger Lebensstil

Manche Fachleute vermuten, dass die ADHS-Entwicklung durch unseren modernen Lebensstil ungünstig beeinflusst wird. Statt Wege zur Schule zu Fuß zurückzulegen und täglich im Freien zu spielen, werden Kinder mit dem Bus oder von Eltern zur Schule gebracht und meistens drinnen, allzu häufig am PC, beschäftigt. Körperliche Aktivität, sensorische Wahrnehmung aus der Natur und wirkliches „Begreifen“ mit den Händen nehmen kontinuierlich ab. Bewegungsdrang, überschießende Energie und kindliche Neugier können kaum noch ausgelebt werden.

Weniger Autorität der Eltern und Lehrer fördert zwar die freie Entfaltung gesunder Kinder, schadet jedoch dem ADHS-Kind, das klare Strukturen, Regeln und Regelmäßigkeit benötigt. Große Gruppenstärken in Kindergärten und Schulen, die individuelle Betreuung nahezu unmöglich machen, verschärfen das Problem. Insbesondere der sogenannte „offene Kindergarten“, der kaum Strukturen vorgibt, trägt dazu bei. So werden leichte Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr kompensiert und die Kinder werden zunehmend auffällig.

Hier gehts zum Online- ADHS-Test :

Tipps zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS

Was können Eltern selber tun? Können Eltern etwas tun, um die Verhaltensprobleme ihres Kindes zu bessern?

Durch ihren erzieherischen Einfluss können Eltern die Auswirkungen von ADHS und das Verhalten der Kinder beeinflussen.

Welche Grundregeln helfen Eltern bei der Erziehung?

Der Alltag mit einem Kind mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) kann herausfordernd sein. Doch mit klaren Regeln, positiver Bestärkung und einer verlässlichen Tagesstruktur können Sie Ihr Kind gezielt unterstützen – und gleichzeitig auch sich selbst entlasten.

1. Stärken wahrnehmen und bestärken

Nehmen Sie die positiven Eigenschaften und Fähigkeiten Ihres Kindes bewusst wahr und zeigen Sie Wertschätzung. Gerade in schwierigen Phasen hilft es, dem Kind zu vermitteln: „Ich mag dich, so wie du bist.“

2. Loben – auch kleine Fortschritte zählen

Kinder mit ADHS haben es schwerer als andere, Regeln einzuhalten und Aufgaben zu beenden. Loben Sie konsequent, wenn es gelingt – auch Teilerfolge und Anstrengung verdienen Anerkennung. So fördern Sie gezielt das gewünschte Verhalten (positive Verstärkung).

3. Klare und verbindliche Regeln

Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Kind überschaubare und erfüllbare Familienregeln. Klare Regeln geben Orientierung, Struktur und Sicherheit. Wichtig: Grenzen klar kommunizieren und konsequent einhalten.

4. Deutliche Ich-Botschaften verwenden

Sprechen Sie klar, einfach und direkt:

„Ich möchte, dass du alle Legosteine in die rote Kiste räumst.“

Vermeiden Sie unkonkrete Aufforderungen wie:

„Räum dein Zimmer auf.“

Teilen Sie Aufgaben in kleine, erfüllbare Schritte ein und kontrollieren Sie anschließend.

5. Tagesstruktur und Rituale etablieren

Ein strukturierter Tagesablauf mit festen Ritualen hilft Ihrem Kind, sich im Alltag besser zu orientieren. So weiß es eher, wann welches Verhalten erwartet wird.

6. Konsequent und unmittelbar reagieren

Bei Regelverstößen ist eine schnelle und konsequente Reaktion wichtig. Geeignete pädagogische Maßnahmen können sein:

kurze Auszeiten

Punktepläne mit Belohnungssystem

klarer Entzug von Rechten oder Privilegien

7. Kritische Situationen vorher erkennen

Bereiten Sie sich auf problematische Situationen (z. B. Hausaufgaben, Besuch, Wartezeiten) vor. Vereinbaren Sie vorher Regeln und Belohnungen für positives Verhalten.

8. Geduldig und gelassen bleiben

Bewahren Sie Ruhe, Geduld und Übersicht, auch wenn es emotional wird. Versuchen Sie, Verständnis für das Verhalten Ihres Kindes aufzubringen und nicht alles persönlich zu nehmen.

9. Streit nicht eskalieren lassen

Diskutieren Sie nicht, wenn die Emotionen hochkochen. Gönnen Sie sich und Ihrem Kind eine Pause. Verlassen Sie bei Bedarf das Zimmer, um das Thema später in Ruhe anzugehen.

10. Selbstfürsorge nicht vergessen

Kinder mit ADHS erfordern viel Energie. Achten Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse, gönnen Sie sich regelmäßig Auszeiten und Erholung. Je ausgeglichener Sie sind, desto besser können Sie Ihr Kind unterstützen.

Autoren: Kinderaerzte-im-netz.de ; fachliche Unterstützung: Dr. Klaus Skrodzki & AG ADHS e.V.

Fachliche Unterstützung: Dr. Klaus Skrodzki

letzte Änderung:06.09.2020

ADHS in der PARTNERSCHAFT

Menschen mit ADHS haben nicht nur selbst mit den Auswirkungen ihrer Symptome zu kämpfen – auch Partnerinnen, Partner und Angehörige sind häufig stark mitbetroffen. Die ADHS-Symptomatik wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus und kann eine Beziehung spürbar belasten.

Wichtig ist mir an dieser Stelle: ADHS-Betroffene tragen nicht allein die Verantwortung, wenn eine Partnerschaft schwierig verläuft oder scheitert. In der Regel sind beide Partner an Konflikten beteiligt – unabhängig von einer Diagnose. Es geht nicht darum, Menschen mit ADHS zu verurteilen oder zu stigmatisieren. Jeder Mensch bringt Licht- und Schattenseiten mit – bei ADHS zeigen sich diese oft nur anders oder intensiver.

Dieses Kapitel widmet sich daher ganz bewusst den partnerschaftlichen Herausforderungen, die durch ADHS entstehen können. Denn nur wer diese Dynamiken kennt, kann sie verstehen – und gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Die positive Nachricht zuerst:

Menschen mit ADHS können unglaublich charmant, witzig und begeisternd sein. Ihre kreativen, oft unkonventionellen Ideen sprühen vor Energie – sie sind spontan, humorvoll und voller Lebensfreude. Ihre quirlige Art macht sie in vielen Momenten zum Mittelpunkt des Geschehens.

Mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, ihrer Hypersensitivität und der Fähigkeit, feinste emotionale Schwingungen wahrzunehmen, können ADHS-Betroffene eine intensive Tiefe in zwischenmenschliche Beziehungen bringen. Ihre Energie scheint grenzenlos – sie können Bäume ausreißen, Projekte mitreißend starten und das Leben in Bewegung halten.

Das Leben an der Seite eines ADHS-Betroffenen ist selten langweilig. Überraschungen gehören zum Alltag – denn das einzig Berechenbare an ADHS ist oft: die Unberechenbarkeit. Aus jedem Moment kann etwas völlig Neues entstehen – manchmal spannend, manchmal chaotisch. Die schnellen Stimmungswechsel und Ideenfluten können faszinieren, aber auch herausfordern und überfordern.

In den folgenden Abschnitten richten wir den Blick bewusst auf die Schattenseiten, die im Alltag mit ADHS entstehen können. Denn während die bunten und lebendigen Seiten keine Anleitung brauchen, ist es gerade im Umgang mit den herausfordernden Aspekten wichtig, Verständnis zu entwickeln und konkrete Lösungswege zu finden.

Typische ADHS-Symptome führen zu typischen ADHS-Problemen:

Je ausgeprägter die ADHS-Symptomatik, desto häufiger treten zwischenmenschliche Konflikte, soziale Schwierigkeiten und mitunter auch dissoziale Verhaltensweisen auf. Gleichzeitig nehmen in gleichem Maße die Fähigkeiten zur Stressbewältigung, Kommunikation und Problemlösung ab – was den Alltag und insbesondere Partnerschaften zusätzlich belasten kann.

Es überrascht daher nicht, dass zahlreiche Studien belegen:

Partnerschaften mit ADHS-Betroffenen sind häufiger von Konflikten geprägt – und haben ein erhöhtes Risiko zu scheitern, wenn keine bewusste Auseinandersetzung mit den Herausforderungen erfolgt.

Petermann , Schütte 2006

Menschen mit ADHS sind oft besonders feinfühlig und gleichzeitig emotional verletzbar. Sie verfügen über eine hohe emotionale Reizoffenheit, was bedeutet: Gefühle treffen sie oft intensiver und unmittelbarer als andere. Es ist, als sei ihre innere Alarmanlage ständig scharf gestellt – bereit, Ablehnung, Kränkung oder Missachtung zu wittern, selbst wenn objektiv kein Anlass besteht. Dieses Phänomen lässt sich gut mit dem Satz beschreiben:

„Ich höre was, was du nicht sagst.“

Freude, Wut, Traurigkeit oder Kränkung – alle Emotionen werden verstärkt erlebt. Ihre Impulsivität ist häufig eine direkte Folge dieser intensiven Gefühlsreaktionen. Schon kleine, unbeabsichtigte Bemerkungen oder harmlose Situationen können als persönliche Kränkung interpretiert werden und zu heftigen emotionalen Reaktionen führen:

  • Angriff,
  • Rückzug,
  • langwierige Diskussionen,
  • plötzliche Stimmungskippungen.

Für Partner oder Angehörige sind diese Reaktionen oft schwer nachvollziehbar. Sie erleben, wie aus einem harmonischen Moment plötzlich ein heftiger Streit wird – scheinbar ohne Vorwarnung. Dieses ständige emotionale Auf und Ab führt nicht selten zu Dauerstress, denn die Situation ist schwer einschätzbar:

„Wann kippt die Stimmung wieder?“

Viele Betroffene wirken in solchen Momenten wie „Mimosen mit einer Holzkeule“:

  • Auf der einen Seite empfindlich und schnell verletzt,
  • auf der anderen Seite selbst heftig und verletzend im Ausdruck.

Sie regen sich auf, geraten in Rage, sagen verletzende Dinge – und vergessen alles kurz darauf wieder.

Wenn Partner später auf das Geschehene zurückkommen, erleben sie häufig Unverständnis:

„Wieso sprichst du das noch an? Das ist doch längst vorbei.“

Dieses Missverhältnis zwischen Erleben und Erinnerung kann in Beziehungen zu großer Belastung führen:

  • Der ADHS-Betroffene hat die emotionale Eskalation längst abgehakt,
  • Der Partner hingegen verarbeitet sie noch – und fühlt sich nicht ernst genommen oder allein gelassen.

Viele Menschen mit ADHS neigen zu einem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Denken. Für sie existieren oft nur Extreme:

„entweder – oder“,

„himmelhoch jauchzend – oder zu Tode betrübt“,

„totale Begeisterung – oder völlige Ablehnung“.

Diese Sichtweise lässt kaum Raum für Zwischentöne. Was heute als „fantastisch“ empfunden wird, kann morgen schon „katastrophal“ sein. Begeisterung schlägt plötzlich in Desinteresse um – besonders dann, wenn etwas nicht sofort gelingt, zu viel Geduld erfordert oder Erwartungen nicht erfüllt werden.

Das Problem mit der Mitte: Sie erscheint langweilig. Doch genau dort, in der Mitte, liegt im Alltag oft die größte Stabilität. ADHS-Betroffene jedoch erleben Langeweile als schwer aushaltbar – sie meiden sie instinktiv, was zu einem ständigen Suchen nach Reiz, Abwechslung oder Intensität führt.

Diese Polarisierung betrifft nicht nur Aktivitäten, sondern auch Beziehungen:

  • Menschen werden entweder begeistert idealisiert oder schlagartig abgewertet.
  • Ein neues Hobby wird mit voller Leidenschaft verfolgt – bis ein Rückschlag oder eine Frustration eintritt, dann wird es plötzlich komplett aufgegeben.

Das Verhalten erscheint Außenstehenden oft unverständlich:

„Warum ist plötzlich alles schlecht, nur weil eine Kleinigkeit nicht gepasst hat?“

„Wieso gibt es nur ganz oder gar nicht?“

Doch dieses Denken in Gegensätzen hat neurobiologische Ursachen und ist ein typisches Merkmal vieler ADHS-Verläufe. Leider führt es dazu, dass Betroffene oft nur einen eingeschränkten Teil der Realität wahrnehmen. Die Welt in all ihren Nuancen – mit Unsicherheiten, Graubereichen und Zwischentönen – bleibt ihnen teilweise verborgen.

Für Angehörige ist das emotional sehr fordernd:

  • Sie erleben plötzliche Ablehnung, wo vorher Nähe war.
  • Sie verstehen nicht, warum sich Meinungen und Gefühle so abrupt ändern.
  • Sie fühlen sich häufig verunsichert oder emotional entwertet, wenn sie aus scheinbar nichtigem Anlass „in die Grube fallen“.

Durch das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken nehmen viele ADHS-Betroffene die Welt oft nur in Gegensätzen wahr. Zwischentöne, Graubereiche und emotionale Nuancen gehen dabei verloren – obwohl das Leben so viel mehr Farben bietet als nur Schwarz oder Weiß.

Für Angehörige ist dieses Denken in Extremen oft kaum nachvollziehbar:

  • Was eben noch begeistert gefeiert wurde, wird plötzlich komplett abgelehnt.
  • Was eben noch Nähe war, wird zur Zurückweisung.
  • Stimmungsschwankungen geschehen abrupt – ohne erkennbaren Auslöser.

Diese emotionalen Wechsel wirken auf Mitmenschen oft:

  • belastend – weil sie sich nicht darauf einstellen können,
  • anstrengend – weil sie permanent präsent und vorsichtig sein müssen,
  • verunsichernd – weil nichts wirklich planbar oder stabil erscheint,
  • mitunter sogar beängstigend, wenn die Reaktionen heftig und unkontrollierbar ausfallen.

Viele Partner*innen von ADHS-Betroffenen leben in einem Zustand permanenter Alarmbereitschaft. Sie wissen oft nicht:

„Wie wird die Stimmung gleich sein?“

„Reagiert mein Partner wieder über, wenn ich dieses Thema anspreche?“

Wenn der ADHS-Partner laut wird, die Beherrschung verliert, andere beschimpft, Türen knallt oder wutentbrannt den Raum verlässt, empfinden viele Angehörige nicht nur Stress, sondern auch Scham und Peinlichkeit – besonders in sozialen Situationen.

Die ständige Unvorhersehbarkeit des Verhaltens kann zur inneren Erschöpfung führen. Beziehungen geraten dadurch unter Druck – nicht, weil es an Liebe fehlt, sondern weil Daueranspannung, Unsicherheit und Kontrollverlust die emotionale Nähe überschattet.

Viele ADHS-Betroffene handeln spontan und impulsiv, ohne über die Folgen ihres Verhaltens nachzudenken. Ihre hohe emotionale Reizbarkeit führt häufig zu unverhältnismäßig starken Reaktionen – sei es Wut, Rückzug oder lautstarke Konfrontation. Dabei wird selten bewusst wahrgenommen, was genau das eigene Verhalten auslöst oder wie es auf andere wirkt.

Typisch ist das Muster:

„Erst gemacht – dann gedacht.“

Emotionen werden ungefiltert nach außen getragen, ohne dass Betroffene vorher innehalten oder reflektieren, wie ihr Verhalten auf das Umfeld wirkt. Für Angehörige kann das verletzend oder erschreckend sein – insbesondere, wenn sie das Verhalten als überzogen oder unkontrollierbar erleben.

Achtsamkeit statt Impuls – ein zentraler Therapieschritt

Ein zentraler Bestandteil der ADHS-Therapie besteht darin, dass Betroffene lernen, sich emotional zu regulieren und Zeit zwischen Reiz und Reaktion zu gewinnen. Ziel ist es, nicht mehr ausschließlich aus dem Bauch heraus zu agieren, sondern durch:

  • Achtsamkeit im Moment zu bleiben,
  • die eigene Emotion bewusst wahrzunehmen,
  • das Verhalten gezielt zu steuern.

Reflexion statt Reaktion

Nur wenn ADHS-Betroffene lernen, innezuhalten und Situationen zu analysieren, können sie angemessen und beziehungsfördernd reagieren – ohne ihr Umfeld durch unbedachte Worte oder Taten unnötig zu verletzen.

Diese Fähigkeit lässt sich trainieren – und ist ein entscheidender Schritt zu mehr Selbststeuerung, innerer Stabilität und gelingenden Beziehungen.

Das Leben von ADHS-Betroffenen ist oft geprägt von plötzlichen und intensiven Stimmungsschwankungen. Ihre emotionale Lage kann sich innerhalb kürzester Zeit verändern – von fröhlich zu wütend, von begeistert zu entmutigt. Für die Betroffenen selbst ist dieses Auf und Ab häufig „normal“, da sie es nicht anders kennen.

Für Partner*innen und Angehörige hingegen ist dieses emotional instabile Verhalten oft sehr belastend. Das emotionale Erleben wird von ihnen als Achterbahnfahrt empfunden – mit unvorhersehbaren Wendungen, abrupten Reaktionen und großer Intensität.

In Wut- oder Stressmomenten können ADHS-Betroffene zu echten „Rumpelstilzchen“ oder „Hitzeblitzen“ werden – laut, impulsiv, überfordernd. Wichtig ist zu verstehen:

In solchen Momenten fühlen sie sich meist von allem und jedem angegriffen – unabhängig davon, was tatsächlich gesagt oder gemeint wurde.

Was Angehörige wissen sollten

Diskussionen im Affekt führen zu nichts: In Momenten emotionaler Eskalation sind Betroffene nicht zugänglich für Argumente oder sachliche Gespräche.

Der wichtigste Rat lautet daher:

Nehmen Sie sich eine Auszeit. Ziehen Sie sich bewusst zurück. Schweigen ist in solchen Momenten oft hilfreicher als jede Erklärung.

Strategie für Betroffene: Auszeit statt Ausrasten

Auch ADHS-Betroffene selbst können lernen, mit emotionalen Überreaktionen besser umzugehen. Ein zentraler Schritt dabei ist:

  • Die Situation bewusst zu verlassen,
  • durchzuatmen,
  • sich zu regulieren,
  • und mit zeitlichem Abstand zurückzukehren.

Diese Technik lässt sich zusammenfassen als:

„Auszeit statt Ausrasten.“

Ebenso wichtig ist es, dem Partner vorher zu kommunizieren, dass man gerade Abstand braucht – damit dieser sich nicht abgelehnt, sondern mitgenommen fühlt.

Später, mit klarem Kopf, kann die Situation in Ruhe und wertschätzend besprochen werden.

ADHS-Betroffene zeigen oft zwei scheinbar gegensätzliche Seiten:

Sie können unglaublich liebevoll, empathisch und unterstützend sein – mit einer bemerkenswerten emotionalen Feinfühligkeit und großer Kreativität. Umso schwerer ist es für Angehörige zu verstehen, wenn sich die Stimmung scheinbar aus dem Nichts drastisch verändert.

Was eben noch sensibel und liebevoll war, kann sich innerhalb von Sekunden in Wut, Trotz oder Rückzug verwandeln.

Der einfühlsame Partner wird plötzlich zum wutentbrannten Rumpelstilzchen – unkontrollierbar, laut, impulsiv. Und kurz danach ist der Gefühlsausbruch für den ADHS-Betroffenen oft einfach vergessen.

Für das Gegenüber aber bleiben Anspannung, Verwirrung, Ärger oder sogar Angst zurück. Die emotionale Diskrepanz erzeugt tiefes Unverständnis:

  • Wie kann ein Mensch so liebevoll und gleichzeitig so verletzend sein?
  • Wie kann er so schnell umschalten – und sich an nichts mehr erinnern?

Wenn Nähe zu viel wird

ADHS-Betroffene können in bestimmten Situationen stur, trotzig oder irrational reagieren – besonders, wenn sie sich eingeengt oder überfordert fühlen.

Wird die sogenannte Fluchtdistanz unterschritten (also der emotionale oder körperliche Abstand, den sie in dem Moment brauchen), kann es zu heftigen, oft unangemessenen Reaktionen kommen – sogar gegenüber Fremden.

Treffen zwei angespannte oder gereizte Menschen aufeinander, kann sich die Situation gefährlich aufschaukeln – besonders, wenn beide Beteiligten impulsiv reagieren. Das Risiko emotionaler oder sogar körperlicher Eskalation steigt.

Emotionales Vergessen – für Partner oft schwer verständlich

Ein weiteres Phänomen, das Angehörige immer wieder sprachlos macht:

Der ADHS-Betroffene erinnert sich häufig nicht mehr an seine eigenen Wutausbrüche oder emotionale Eskalationen.

Was für den einen ein schmerzhafter Streit war, ist für den anderen längst vorbei und abgehakt – als wäre nichts geschehen.

Diese fehlende emotionale Nachverarbeitung führt bei Partnern zu:

  • Selbstzweifeln („Habe ich etwas falsch gemacht?“),
  • Schuldgefühlen („Bin ich der Auslöser?“),
  • dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

Viele ADHS-Betroffene erleben ein stark schwankendes Selbstwertgefühl.

In einem Moment glauben sie, alles erreichen zu können – voller Tatendrang, Energie und Überzeugung. Im nächsten Moment brechen Selbstzweifel über sie herein – oft ausgelöst durch Frustration, Kritik oder Misserfolge.

Diese emotionale Instabilität kann zu zwei typischen Reaktionsmustern führen:

  • Tiefes Selbstmitleid

oder

  • das Abgeben der Verantwortung – andere (z. B. der Partner) werden dann als Schuldige für das eigene Scheitern gesehen.

Diese Wechsel zwischen Größenfantasie und Verzweiflung sind nicht nur für die Betroffenen selbst schwer auszuhalten, sondern stellen auch eine große Herausforderung für eine stabile Beziehung dar.

Chaos im Alltag – wenn Struktur fehlt

Ordnung und Organisation zählen für viele ADHS-Betroffene zu den größten Alltagsproblemen. Das kann zu einem dauerhaften Gefühl von Chaos und Unzuverlässigkeit führen – für Partner oft nur schwer zu ertragen. Besonders dann, wenn Versprechen nicht eingehalten oder gemeinsame Pläne ständig über den Haufen geworfen werden.

Vergesslichkeit als Beziehungsbelastung

Vergesslichkeit ist ein häufiges Symptom bei ADHS – mit spürbaren Folgen im Alltag:

  • Termine werden vergessen
  • Absprachen gehen unter
  • wichtige Aufgaben bleiben liegen

Auch wenn ADHS-Betroffene das nicht böse meinen, entsteht bei Partnern oft der Eindruck:

„Ich bin ihm/ihr nicht wichtig genug.“

Die fehlende Verlässlichkeit wird als fehlende Wertschätzung empfunden – und führt langfristig zu Frustration, Kränkung und emotionaler Distanz.

Rollenverschiebung: Wenn der Partner zum Elternteil wird

Um die ständige Unzuverlässigkeit auszugleichen, geraten Partner:innen oft in eine bevormundende Kontrollrolle.

  • Sie erinnern, organisieren, fragen nach, übernehmen Aufgaben.
  • Sie werden zum „Manager“ des gemeinsamen Alltags – oder schlimmer: zum Ersatz-Elternteil.

Diese Dynamik führt unweigerlich zu einer Schieflage in der Beziehung:

  • Der ADHS-Betroffene nimmt die „Kindrolle“ ein, fühlt sich kontrolliert und entzieht sich zunehmend der Verantwortung.
  • Der Partner wird emotional und organisatorisch überlastet – und empfindet das Verhalten als bequem oder undankbar.

Die Folge: Wachsende Spannungen, Vorwürfe und Entfremdung.

Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird dadurch immer schwieriger.

1. Vergesslichkeit im Alltag – mehr als nur Unachtsamkeit

Die Vergesslichkeit von ADHS-Betroffenen betrifft weit mehr als das Vergessen von Terminen oder Alltagsaufgaben. Es fällt ihnen oft schwer, sich an vergangene Gespräche, Konflikte oder Ereignisse zu erinnern – selbst wenn diese erst kürzlich stattfanden.

„Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist für viele ADHS-Betroffene kein Sprichwort, sondern tägliche Realität.

Ein Streit vom Vortag? Schon vergessen.

Eine Abmachung vor drei Tagen? Wird oft nicht erinnert.

Gleichzeitig zeigt sich jedoch eine emotionale Einseitigkeit:

Für selbst empfundene Kränkungen haben viele ADHS-Betroffene ein regelrechtes Elefantengedächtnis – sie bleiben haften, oft über Jahre hinweg. Diese Ungleichverteilung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung führt in Beziehungen häufig zu Missverständnissen und Spannungen.

2. ADHS und das veränderte Zeitgefühl – Leben im Jetzt

ADHS-Betroffene erleben Zeit nicht linear und kontinuierlich, sondern oft fragmentiert und ungenau.

  • Was gestern war, fühlt sich an wie vor Wochen.
  • Was letzte Woche geschah, scheint in weiter Ferne.
  • Die nächste Stunde? Unfassbar schwer greifbar.

Diese sogenannte „Zeitblindheit“ hat spürbare Folgen:

  • Schwierigkeiten, die Dauer von Tätigkeiten einzuschätzen
  • häufiges Verzetteln vor Terminen
  • chronische Unpünktlichkeit trotz bester Absichten

Typisch ist das Verhalten:

„Ich habe noch Zeit – ich fang schnell noch etwas an…“

…und schon ist der Termin vergessen oder wird zu spät wahrgenommen.

Das Tragische: ADHS-Betroffene hassen es oft selbst zu warten, muten aber gleichzeitig anderen regelmäßig genau das zu. Das führt zu Frustration bei Partnern, die sich nicht ernst genommen oder abgewertet fühlen – obwohl es keine böse Absicht ist.

3. Erfahrungsblindheit – Warum Lernen aus Fehlern schwerfällt

Ein weiteres häufig übersehenes Phänomen ist die eingeschränkte Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen.

Viele ADHS-Betroffene wiederholen trotz guter Intelligenz immer wieder dieselben Fehler. Der Grund liegt nicht im mangelnden Verstehen – sondern im fehlenden inneren Zugriff auf das Erlebte.

  • Erlebnisse sind oft nicht emotional abrufbar,
  • sie werden nicht als Lernquelle integriert,
  • vergangene Situationen wirken fern oder nicht bedeutungsvoll genug, um als Warnsignal zu dienen.

Man kann hier von einer „Erfahrungsblindheit“ sprechen – was für Angehörige oft unverständlich bleibt:

„Wie kann jemand so klug sein – und trotzdem immer wieder dasselbe tun?“

Fazit: Zwischen Vergesslichkeit, Zeitverlust und Beziehungskonflikt

Die Kombination aus Vergesslichkeit, Zeitblindheit und erfahrungsblindem Verhalten stellt eine große Herausforderung im Alltag und besonders in Beziehungen dar. Termine werden vergessen, Vereinbarungen nicht eingehalten, Pünktlichkeit wird zum Dauerproblem.

Partner erleben das häufig als fehlende Verlässlichkeit oder mangelnde Wertschätzung – obwohl der ADHS-Betroffene es ganz anders meint.

Umso wichtiger sind:

  • Klare Strukturen,
  • praktische Erinnerungshilfen,
  • und gegenseitiges Verständnis, um solche Muster zu erkennen – und gemeinsam daran zu arbeiten.

Schwierige Verhaltensweisen in Beziehungen mit ADHS

Konflikte gehören zu jeder Beziehung – doch ADHS erschwert den Umgang damit

In jeder Partnerschaft entstehen Konflikte – sie sind normal und oft sogar notwendig für persönliche Entwicklung und Beziehungswachstum. Entscheidend ist, wie Konflikte gelöst werden.

ADHS-Betroffenen fällt es jedoch häufig schwer, eine funktionierende Streitkultur und Problemlösekompetenz zu entwickeln. Gründe dafür liegen in typischen Begleiterscheinungen der Störung:

  • Impulsivität und Stimmungsschwankungen
  • geringe Frustrationstoleranz
  • hohe emotionale Reizbarkeit
  • mangelnde Impulskontrolle

All das erschwert es, ruhig zu bleiben, innezuhalten und Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Ungeduld, Frust und der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung

ADHS-Betroffene neigen zu großer Ungeduld – sie wollen alles sofort, jetzt und gleich. Wird ein Wunsch nicht erfüllt oder läuft etwas anders als erwartet, kann dies zu starken Enttäuschungsreaktionen, Wut oder Rückzug führen.

Alltägliche Herausforderungen wie:

  • Verzicht,
  • Ungerechtigkeit oder
  • Frustration

werden oft nur schwer akzeptiert. Der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung kollidiert dabei mit den realen Anforderungen einer partnerschaftlichen Beziehung, in der Kompromisse und Rücksichtnahme notwendig sind.

Kritikunfähigkeit und emotionale Überreaktion

Ein weiteres zentrales Thema ist der Umgang mit Kritik. Selbst wohlmeinendes Feedback wird von ADHS-Betroffenen häufig als persönlicher Angriff empfunden.

Sie neigen dazu:

  • Kritik zu generalisierten Ablehnung umzudeuten,
  • in Abwehrhaltungen (Angriff oder Flucht) zu verfallen,
  • emotional zu eskalieren, obwohl die Situation sachlich lösbar wäre.

Das Gehirn reagiert im „Alarmmodus“, als sei Kritik existenzbedrohend – eine Überlebensreaktion aus archaischen Hirnstrukturen (Reptilienhirn). Im sozialen Kontext ist diese Reaktion jedoch unangemessen und für Partner befremdlich.

Wird Kritik dauerhaft vermieden oder nicht verarbeitet, bleiben Konflikte ungelöst und kehren immer wieder zurück – mit zunehmendem Zerstörungspotenzial für die Beziehung.

Ich-Bezogenheit und Wahrnehmungsverzerrung

ADHS-Betroffene sind oft so sehr mit sich selbst und ihren inneren Zuständen beschäftigt, dass sie die Bedürfnisse ihres Umfelds kaum wahrnehmen. Das ist nicht böse gemeint, sondern Teil der aufmerksamkeitsbezogenen Symptomatik. Trotzdem kann es für Partner verletzend sein, wenn:

  • keine Rücksicht genommen wird,
  • Empathie nur selektiv vorhanden ist,
  • der Fokus ausschließlich auf dem eigenen Erleben liegt.

Diese Ich-Zentrierung führt zu:

  • Überbewertung eigener Leistungen,
  • Unterbewertung der Beiträge anderer,
  • emotionaler Doppelmoral (eigenes Leid zählt mehr als das anderer).

Insbesondere in Stress- oder Konfliktsituationen werden Worte des Gegenübers überinterpretiert, auf die Goldwaage gelegt – während die eigene Schärfe im Ton nicht reflektiert wird.

Trotzverhalten, Reifungsdefizite und mangelnder Bedürfnisaufschub

Viele ADHS-Betroffene zeigen typische Merkmale eines emotionalen Reifungsdefizits:

  • starke Stimmungsschwankungen,
  • kindliches Trotzverhalten,
  • Unfähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben.

Sie wirken in solchen Momenten wie „kleine Rumpelstilzchen im Erwachsenenalter“, die sich mit aller Kraft durchsetzen wollen.

Kompromisse werden schwer ertragen, das Zurückstellen eigener Bedürfnisse ist oft kaum möglich. Diese Maßlosigkeit kann langfristig zu Unzufriedenheit, Suchtgefährdung und Beziehungsüberforderung führen.

Vergleiche, Selbstabwertung und das Gefühl, zu kurz zu kommen

Ein häufiges Muster bei ADHS ist der ständige Vergleich mit anderen – und das Gefühl, zu kurz zu kommen. Auch wenn sie objektiv viel Aufmerksamkeit oder Unterstützung erhalten, glauben viele Betroffene:

„Die anderen haben es besser.“

„Ich komme immer zu kurz.“

Dieses Denken führt zu Unzufriedenheit, Neid und in Familien häufig zu Unausgewogenheit – etwa wenn Geschwister emotional benachteiligt werden, weil das Kind mit ADHS den Großteil der elterlichen Energie beansprucht.

Fazit: Beziehungsgestaltung mit ADHS braucht Klarheit, Struktur – und Verständnis auf beiden Seiten

Schwierige Verhaltensweisen in Beziehungen mit ADHS sind kein Ausdruck von bösem Willen, sondern oft die Folge neurobiologischer Besonderheiten. Doch sie haben reale Auswirkungen auf das Miteinander – besonders dann, wenn sie nicht erkannt, benannt und bearbeitet werden.

Partnerschaften mit ADHS können gelingen, wenn:

  • klare Strukturen geschaffen werden,
  • Kritik behutsam, aber ehrlich formuliert wird,
  • emotionale Reaktionen nicht persönlich genommen,
  • und gemeinsam Strategien zur Emotionsregulation und Kommunikation entwickelt werden.

ADHS und Arbeitsverhalten – zwischen Entscheidungslähmung und Aktionismus

Entscheidungs- und Priorisierungsprobleme

Ein zentrales Merkmal im Arbeitsverhalten von ADHS-Betroffenen ist die Schwierigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Selbst bei einfachen Entscheidungen wie:

„Soll dieses Dokument weggeworfen werden?“

fällt es schwer, Klarheit zu finden – aus Angst, etwas Relevantes zu übersehen.

Die Folge:

  • Unsortierte Papierstapel,
  • überfüllte Schreibtische,
  • und das Gefühl, im Chaos zu versinken.

Diese Entscheidungslähmung ist eng verbunden mit einer Priorisierungsschwäche:

Wenn alles gleich wichtig erscheint, wird es nahezu unmöglich, gezielt anzufangen oder Aufgaben sinnvoll zu ordnen.

Verzettelung und Aufschieberitis (Prokrastination)

ADHS-Betroffene neigen dazu, sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren.

  • Statt mit der wichtigsten Aufgabe zu beginnen,
  • beschäftigen sie sich mit Details,
  • oder starten gar nicht – aus Überforderung durch die unklare Struktur.

Die Folge:

Ein Wechsel zwischen totalem Stillstand und impulsivem Aktionismus.

„Erst gemacht – dann gedacht.“

Das führt häufig zu:

  • unüberlegten Entscheidungen,
  • unzureichender Planung,
  • und unbefriedigenden Arbeitsergebnissen.

Stimmungsabhängigkeit und Meinungswechsel

Ein weiteres typisches ADHS-Muster:

Stimmungen und äußere Impulse beeinflussen Entscheidungen stark.

  • Eine neue Idee kann eine alte völlig verdrängen,
  • Begeisterung wechselt abrupt zu Desinteresse,
  • Entscheidungen werden revidiert – ohne andere darüber zu informieren.

Oft wirken diese plötzlichen Richtungswechsel auf Außenstehende verwirrend oder inkonsequent,

obwohl sie für den ADHS-Betroffenen im Moment vollkommen logisch erscheinen.

Entscheidungsvermeidung und das „Alles-Wollen“

Viele ADHS-Betroffene vermeiden Entscheidungen, weil:

  • sie sich nicht festlegen wollen,
  • sie nichts ausschließen möchten,
  • oder sie Angst haben, sich falsch zu entscheiden.

Das führt zu:

  • endlosem Aufschieben,
  • spontanem, unreflektiertem Handeln,
  • und unklaren, unkommunizierten Richtungswechseln.

Ergebnis: Entscheidungen entstehen oft impulsiv – nicht geplant. Und sie bringen selten das gewünschte Ergebnis.

Hyperaktiv vs. hypoaktiv – zwei Gesichter der ADHS im Alltag

Hyperaktive ADHS-Betroffene: Rastlosigkeit und Reizsuche

Menschen mit hyperaktivem ADHS brauchen ständig Reize und Aktivität.

Stillstand, Langeweile oder Ruhe werden als unerträglich empfunden.

  • Selbst im Urlaub fällt es schwer, abzuschalten.
  • Erholung bedeutet Aktion – nicht Entspannung.
  • Die Umgebung wird permanent mitgezogen – was für Angehörige sehr anstrengend sein kann.

Hypoaktive ADHS-Betroffene: Langsamkeit und Trägheit

Im Gegensatz dazu sind hypoaktive ADHS-Betroffene oft still, langsam und verträumt.

Sie wirken auf andere:

  • passiv,
  • unorganisiert,
  • träge oder unmotiviert.

Diese Gegensätze im Verhalten zeigen, wie individuell sich ADHS ausprägen kann – und wie stark das Arbeiten im Alltag, im Team oder in der Partnerschaft davon beeinflusst wird.

Fazit: Struktur, Selbstbeobachtung und klare Kommunikation sind entscheidend

Das Arbeitsverhalten von ADHS-Betroffenen ist geprägt von:

  • Priorisierungsschwäche,
  • Impulsivität,
  • Stimmungsabhängigkeit
  • und teils extremen Unterschieden im Energielevel.

Was hilft:

  • Klare Tagesstrukturen,
  • Prioritätenlisten,
  • Transparenz bei Entscheidungen,
  • und ein Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster.

So wird der Alltag planbarer – für Betroffene und ihr Umfeld.

Langsamkeit, Diskussionen und Schlafprobleme – weitere Beziehungshürden bei ADHS

Das unterschiedliche Zeitempfinden – ein unterschätzter Konflikt

Hypoaktive ADHS-Betroffene haben oft ein ganz eigenes Zeitgefühl, das sich stark von dem ihrer Partner unterscheidet.

Beispiel:

  • Der Partner braucht 30 Minuten zum Staubsaugen –
  • der ADHS-Betroffene braucht dafür zwei Stunden.

Beide Seiten messen die Zeit unterschiedlich:

  • Der Partner bewertet den tatsächlichen Zeitaufwand anhand seiner eigenen Maßstäbe.
  • Der ADHS-Betroffene hingegen empfindet seine investierte Zeit als vollwertige Arbeitszeit.

Diese Diskrepanz führt häufig zu Missverständnissen und Frust:

  • Der Partner fühlt sich überlastet und glaubt, „alles allein machen zu müssen“.
  • Der ADHS-Betroffene fühlt sich nicht wertgeschätzt, weil seine Mühe übersehen wird.

Oft ist Betroffenen nicht bewusst, wie langsam und ineffizient sie arbeiten, da ihr inneres Zeitkonto anders funktioniert.

Zermürbende Endlosdiskussionen – und das Streben nach dem letzten Wort

ADHS-Betroffene geraten häufig in ausufernde Grundsatzdiskussionen, die sich im Kreis drehen. Sie:

  • wiederholen die gleichen Argumente,
  • springen von Thema zu Thema,
  • und haben oft den inneren Drang, das letzte Wort haben zu müssen.

Diese Art der Kommunikation kann auf Dauer sehr belastend für Partner und Familienmitglieder sein. Diskussionen werden nicht besser, wenn sie ewig dauern – und auch nicht überzeugender, wenn sie lauter oder emotionaler geführt werden.

Wichtig zu verstehen:

Kürze, Klarheit und Sachlichkeit sind für ADHS-Betroffene oft schwer umzusetzen – aber entscheidend für eine gelingende Kommunikation.

Wenn der Alltag zu Last wird – und der Charme an seine Grenzen stößt

Der oft beschriebene Charme von ADHS-Betroffenen – ihr Humor, ihre Spontanität, ihr Ideenreichtum – trägt viele Beziehungen durch die Anfangszeit. Doch auf Dauer kommen auch die Herausforderungen stärker zum Vorschein:

  • das Vermeiden unangenehmer Aufgaben,
  • das Setzen persönlicher Prioritäten auf Spaß und Impuls,
  • das Verstricken in Ausreden oder Schuldzuweisungen.

Wenn Partner diese Muster wiederholt erleben, kann Frustration, Enttäuschung und Überforderung die Beziehung dominieren – insbesondere, wenn Veränderungen ausbleiben.

Kommunikation lernen: Weniger Worte – mehr Wirkung

Für viele ADHS-Betroffene ist es schwer, sich kurz und präzise auszudrücken. In Diskussionen neigen sie dazu:

  • sich zu verzetteln,
  • vom Thema abzuschweifen,
  • und den roten Faden zu verlieren.

Dabei gilt:

Kurze, klare Statements sind oft wirkungsvoller als ein langer Redeschwall.

Die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist nicht nur im Gespräch, sondern auch im Alltag eine wichtige Ressource, die trainiert werden kann – z. B. durch therapeutisches Coaching, Achtsamkeit oder Kommunikationsstrategien.

Schlafstörungen und verschobene Rhythmen – ein unsichtbares Problem

Ein häufig übersehenes, aber stark belastendes Thema: Schlafprobleme bei ADHS.

Diese können sich äußern als:

  • Ein- und Durchschlafstörungen,
  • extrem leichter Schlaf,
  • nächtliches Aufschrecken bei kleinsten Reizen,
  • oder ein verschobener Tag-Nacht-Rhythmus.

Viele ADHS-Betroffene:

  • kommen morgens schwer in Gang,
  • werden abends aktiv,
  • und leben zunehmend gegen den natürlichen Tag-Nacht-Zyklus.

Das führt zu:

  • wenig gemeinsamer Zeit mit dem Partner,
  • sozialer Isolation,
  • dem Verlust von Tageslicht – besonders in den Wintermonaten.

Ein dauerhaft verschobenes Schlafverhalten kann das Gefühl verstärken, nicht mehr „im Leben“ zu stehen, was sowohl die psychische Gesundheit als auch die Beziehungsqualität negativ beeinflusst.

Fazit: Verständnis braucht Wissen – und Veränderung braucht Struktur

Ob es um Zeitgefühl, Kommunikation, Alltagstempo oder Schlafverhalten geht – viele Herausforderungen in ADHS-Beziehungen sind nicht willentlich gesteuert, sondern Teil der neurobiologischen Störung.

Doch das bedeutet nicht, dass man ihnen hilflos ausgeliefert ist.

Was hilft:

  • Transparenz im Umgang mit Unterschieden,
  • klare Absprachen,
  • gemeinsame Strategien für Struktur, Kommunikation und Selbstfürsorge.

So lassen sich Reibungspunkte reduzieren – und das Miteinander entlasten.

Finanzen, Risiko und Beziehungskonflikte – Wenn ADHS den Alltag erschwert

1. ADHS und Schulden – wenn Impulsivität das Konto überzieht

Viele ADHS-Betroffene geraten im Laufe ihres Lebens in finanzielle Schwierigkeiten – häufig nicht aus bösem Willen, sondern aufgrund typischer ADHS-Muster:

  • Impulsives Konsumverhalten
  • fehlende Planungskompetenz
  • geringe Frustrationstoleranz
  • mangelnde Übersicht über laufende Verpflichtungen

Die Fähigkeit, einen Wunsch aufzuschieben, ist bei vielen ADHS-Betroffenen nur schwach ausgeprägt.

„Ich will das – und zwar jetzt.“

Das führt dazu, dass Wünsche sofort erfüllt werden, ohne zu prüfen, ob das finanziell tragbar ist. Kreditkarten, Ratenkäufe und Online-Shopping verschärfen diese Problematik zusätzlich.

2. Kaufsucht und Verlust der Kontrolle

Manche Betroffene entwickeln eine regelrechte Kaufsucht – das Kaufen dient als kurzfristiger Stimmungsbooster, ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen. Rechnungen werden ignoriert, Inkassoschreiben häufen sich, Mahngebühren explodieren.

Typisch ist:

  • fehlender Überblick über laufende Ausgaben, Abos, Versicherungen
  • keine klare Budgetstruktur
  • Vermeidung unangenehmer Post oder Kontoauszüge

Wenn dann eine unerwartete Ausgabe – etwa eine kaputte Waschmaschine – hinzukommt, ist die finanzielle Belastungsgrenze schnell überschritten.

Gerade in Familien- oder Paarbeziehungen führt dieses Verhalten zu massiven Spannungen. Der Eindruck entsteht:

„Ich muss alles auffangen – mein Partner ist nicht verantwortungsfähig.“

3. Risikoverhalten – Nervenkitzel mit gefährlichen Folgen

Viele ADHS-Betroffene suchen gezielt Risiko und Spannung. Sie erleben dabei oft einen euphorisierenden „Kick“, der ihnen hilft, sich lebendig zu fühlen oder innere Unruhe zu regulieren.

Typische Muster:

  • Extremsportarten mit hoher Verletzungsgefahr
  • riskantes Verhalten im Straßenverkehr
  • Grenzüberschreitungen im Alltag (z. B. beim Autofahren, Klettern, Motorradfahren)

Für Partner und Angehörige ist dieses Verhalten oft hochbelastend:

  • Sie fühlen sich ständig in Sorge,
  • haben Angst vor schweren Unfällen,
  • und erleben das Verhalten als rücksichtslos und unberechenbar.

4. ADHS im Straßenverkehr – unterschätzte Gefahr

ADHS-Betroffene haben nachweislich ein deutlich erhöhtes Unfallrisiko – und die Unfälle sind oft schwerer als im Durchschnitt. Gründe sind u. a.:

  • hohe Impulsivität,
  • mangelnde Geduld,
  • und starke Ablenkbarkeit.

Ein klassisches Beispiel:

Der riskante Überholversuch auf der Landstraße, weil das Fahren hinter einem „Langsamfahrer“ als unerträglich empfunden wird.

Diese Risikobereitschaft im Verkehr ist nicht nur gefährlich, sondern kann zu ständigen Beziehungskonflikten führen – etwa wenn Partner immer wieder warnen, mahnen oder gar nicht mehr mitfahren wollen.

Fazit: Zwischen Reizsuche und Alltagsverantwortung

Ob beim Umgang mit Geld, dem Bedürfnis nach Nervenkitzel oder im Straßenverkehr – viele Verhaltensmuster von ADHS-Betroffenen sind emotional getrieben, spontan und wenig reflektiert. Doch die Konsequenzen treffen nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Umfeld.

Was helfen kann:

  • Therapeutische Aufarbeitung von Impulskontrolle und Selbstregulation
  • Klare Finanzstruktur mit professioneller Unterstützung
  • Paarberatung, um wieder gemeinsam Verantwortung zu tragen
  • Schulungen oder Trainings speziell für ADHS im Straßenverkehr

ADHS und Sexualität – zwischen Maßlosigkeit, Ablenkung und emotionaler Leere

1. Höheres Risiko für Suchterkrankungen – auch im Bereich Sexualität

Menschen mit ADHS entwickeln nachweislich häufiger Suchterkrankungen als der Durchschnitt. Dieses Verhalten erstreckt sich nicht nur auf Substanzen wie Alkohol oder Drogen, sondern betrifft auch nicht-stoffgebundene Süchte – darunter auch Sexsucht.

Dieses Thema ist so komplex, dass es in vielen Fällen ein eigenes therapeutisches Kapitel verdient. Doch auch im Rahmen einer Partnerschaft kann es zu einer erheblichen emotionalen Belastung und wiederkehrenden Konflikten führen.

2. Sexualität bei ADHS: Zwischen Hypersexualität und Desinteresse

Sexualität wird von ADHS-Betroffenen oft in extremen Formen erlebt:

  • Auf der einen Seite kann es zu Hypersexualität kommen, in der Sexualität exzessiv und teilweise suchtartig ausgelebt wird.
  • Auf der anderen Seite berichten viele – insbesondere Frauen – von einem starken Konzentrationsmangel während des Sex und dem Gefühl, emotional nicht präsent zu sein.

ADHS-Frauen berichten häufig davon, dass sie:

  • sich beim Sex nicht fokussieren können,
  • gedanklich bei To-do-Listen, Einkäufen oder Alltagsplänen sind,
  • Reize von außen (Geräusche, Licht, Bewegung) schnell ablenken.

Dies führt zu einem eingeschränkten Lustempfinden und verhindert, dass Sexualität in ihrer vollen Intensität und Emotionalität erlebt werden kann.

3. Maßlosigkeit, Risikoverhalten und Sex als Rauschmittel

Viele ADHS-Betroffene zeigen in Bezug auf Sexualität:

  • Bindungsloses Verhalten,
  • schnellen Partnerwechsel,
  • Ausleben ungewöhnlicher oder riskanter Praktiken,
  • teils massive finanzielle Ausgaben für Pornografie, Escortdienste oder Online-Sexangebote.

Dabei steht oft nicht Nähe oder Intimität im Fokus, sondern:

  • der Kick,
  • die Grenzüberschreitung,
  • das schnelle Glücksgefühl.

Dieses Verhalten ist für Partner*innen schwer nachzuvollziehen – selbst wenn emotionale Bindung und Liebe in der Beziehung vorhanden sind. Die Sucht nach dem Neuen und der Fluchtreflex bei Langeweile führen nicht selten zu Untreue und instabilen Beziehungsmustern.

4. Sexsucht und Untreue – wenn Nähe zur Gefahr wird

Einige ADHS-Betroffene entwickeln eine sexuelle Suchtstruktur, in der sie sich:

  • in ständig neue Abenteuer stürzen,
  • ihre Impulse kaum kontrollieren,
  • und Grenzen immer weiter verschieben.

In der Partnerschaft führt das zu:

  • Vertrauensbrüchen,
  • emotionaler Verletzung,
  • und teils dauerhaften Beziehungsstörungen.

Nicht selten lieben ADHS-Betroffene ihre Partner aufrichtig – und stürzen sich dennoch in Affären, weil ihnen der emotionale oder sexuelle Reiz in einer sicheren, stabilen Beziehung fehlt.

5. Das andere Extrem: Verlust der sexuellen Lust

Genauso wie ADHS zu Hypersexualität führen kann, erleben manche Betroffene auch Phasen völliger sexueller Apathie:

  • Der Wunsch nach Intimität verschwindet,
  • Libido und Motivation sinken drastisch,
  • Sex wirkt wie eine Pflichtübung, nicht wie ein Erlebnis.

Gerade bei jüngeren ADHS-Frauen zeigt sich häufig ein geringes Körperbewusstsein, Unsicherheit im Umgang mit der eigenen Sexualität sowie eine mangelnde Kenntnis darüber, was ihnen selbst Lust bereitet.

Störfaktoren wie:

  • das innere Chaos,
  • ständige Ablenkung,
  • oder diffuse Schamgefühle können dazu führen, dass Sexualität nie richtig ankommt – weder emotional noch körperlich.

6. ADHS, Sexualität und Partnerschaft – eine Herausforderung auf vielen Ebenen

ADHS beeinflusst das sexuelle Erleben, das Verhalten in intimen Situationen und das emotionale Gleichgewicht in Beziehungen erheblich. Je nach Ausprägung der Symptomatik kommt es zu:

  • emotionaler Entfremdung,
  • fehlender Intimität,
  • oder destruktivem Risikoverhalten.

Für Partner*innen ist es oft sehr schwer, mit diesen Extremen umzugehen – insbesondere, wenn sie sich nach emotionaler Nähe, Verlässlichkeit und Vertrauen sehnen.

Fazit: Sexualität bei ADHS braucht Verständnis, Offenheit – und oft professionelle Begleitung

Die Spannbreite sexueller Verhaltensweisen bei ADHS ist groß – von völliger Abstinenz bis zur Sucht. Das macht den Umgang damit im Beziehungsalltag herausfordernd.

Was helfen kann:

  • Therapeutische Begleitung für beide Partner
  • Sexualberatung, insbesondere bei Lustlosigkeit oder Suchtverhalten
  • Förderung von Achtsamkeit und Körperbewusstsein
  • Offene, wertschätzende Kommunikation – ohne Scham und Schuldzuweisungen

Schlusswort: Verantwortung, Verständnis und ein bisschen Humor

Nur rund 5 % der Weltbevölkerung leben mit ADHS. Das bedeutet: Die überwältigende Mehrheit ist anders strukturiert, anders getaktet, anders wahrnehmend. Für ADHS-Betroffene ist es daher wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen:

„Ich bin nicht falsch – aber ich funktioniere anders.“

Doch dieses „Anderssein“ braucht Erklärung, keine Entschuldigung.

ADHS darf nicht zur Ausrede für verletzendes oder schwieriges Verhalten werden – aber es muss erklärt werden, damit Verständnis entstehen kann.

Wechselseitige Verantwortung – für ein gelingendes Miteinander

Angehörige und Partner sind nicht dauerhaft verpflichtet, alles zu tolerieren. Sie wünschen sich:

  • Verlässlichkeit,
  • Verantwortungsübernahme,
  • und echtes Bemühen.

ADHS-Betroffene wiederum dürfen erwarten, dass ihre Mitmenschen bereit sind, sich mit der Störung auseinanderzusetzen – um sie in ihrer Einzigartigkeit zu verstehen, statt sie nur nach äußeren Maßstäben zu bewerten.

Doch Verständnis ist keine Einbahnstraße:

Wer geliebt wird, trägt auch Verantwortung – besonders, wenn das eigene Verhalten wiederholt verletzt oder belastet.

Kleine Ärgernisse – große Wirkung

Es sind nicht immer die großen Dramen, die Beziehungen gefährden. Oft ist es die Summe kleiner Kränkungen und Reibungen, die sich über Monate oder Jahre zu einem emotionalen Ärger-Kloß verdichten.

Dieser „Kloß“ kann Liebe zerstören – oft langsam und schleichend, bis es schließlich zu spät ist.

Kommunikation mit Augenzwinkern – Humor als Brücke

Eine hilfreiche Strategie: In ruhigen Momenten gemeinsam humorvolle Codes und Signale entwickeln, mit denen Angehörige ADHS-Betroffene auf schwieriges Verhalten aufmerksam machen können – ohne Vorwurf, aber mit Klarheit.

Zum Beispiel:

  • „Chaosprinzessin“
  • „Chaotikus“
  • „Rumpelstilzchen-Modus aktiv“

Diese spielerischen Begriffe können helfen, kritische Themen zu entemotionalisieren – vorausgesetzt, sie sind vorher einvernehmlich abgestimmt. Wichtig ist:

Wenn man gemeinsam über ADHS lachen kann, ohne sich dabei lächerlich zu machen, wird vieles leichter.

Veränderung beginnt mit Rückmeldung

Es braucht nicht immer die große Diskussion. Oft genügt ein kurzer Hinweis, eine vereinbarte Geste oder ein Stichwort – um dem ADHS-Betroffenen zu signalisieren:

„Achtung, das war jetzt schwierig für mich.“

So entsteht eine achtsame Feedbackkultur, in der Verhaltensmuster erkannt und verändert werden können – ohne Streit, ohne Schuld, aber mit Wirkung.

Fazit: Liebe mit ADHS ist möglich – mit Humor, Verständnis und Entwicklung

ADHS bringt Herausforderungen mit sich – für alle Beteiligten. Aber mit Offenheit, gegenseitigem Respekt und ein bisschen Humor lassen sich diese Herausforderungen nicht nur bewältigen, sondern in echte Nähe verwandeln.

Denn am Ende zählt nicht die Perfektion, sondern:

  • die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren,
  • den anderen ernst zu nehmen,
  • und gemeinsam zu wachsen.

Quelle :https://praxis-neuy.de/adhs/adhs-und-partnerschaft/

Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz

Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Freie Psychotherapie Heft 06.21, Magazin des VFP „Ich kann das nicht. Ich habe ADHS“ Artikel v. Jörg Berberich

Was bedeutet AD(H)S?

Die Entstehung und Aufrechterhaltung einer ADHS lässt sich am besten durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren erklären. Dazu zählen sowohl neurobiologische Ursachen (z. B. genetische Veranlagung, Veränderungen im Dopaminhaushalt) als auch psychosoziale Einflussfaktoren, wie ungünstige Bedingungen im familiären Umfeld oder belastende Erfahrungen in Schule und Alltag.

Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn

Das wissenschaftlich anerkannte Erklärungsmodell zur Entstehung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) geht von einer gestörten Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnarealen aus – insbesondere jenen, die für Konzentration, Wahrnehmung und Impulskontrolle zuständig sind.

Diese Störung wird hauptsächlich durch ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter – insbesondere Dopamin und Noradrenalin – verursacht. Diese Botenstoffe sind wesentlich für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen.

Bei ADHS-Patient*innen ist die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt (dem Raum zwischen zwei Nervenzellen) oft vermindert. Diese Unterversorgung mit Dopamin beeinträchtigt die Weiterleitung von Informationen im Gehirn: Reize werden unzureichend gefiltert, Gedanken lassen sich schwer bündeln oder zu Ende führen. Das Gehirn kann neue Impulse nicht angemessen regulieren – was sich u. a. in Konzentrationsproblemen, innerer Unruhe und Impulsivität äußert.

Permanente Reizüberflutung – gestörte Reaktionshemmung

Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) können neue Reize und Impulse aufgrund von stoffwechselbedingten Funktionsstörungen im Gehirn nur unzureichend filtern. Dadurch wird die Informationsverarbeitung stark beeinträchtigt, was zu einer permanenten Reizüberflutung führt.

Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit gezielt auf eine Aufgabe zu richten. Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist gestört – also zur bewussten Steuerung von Verhalten, Gedanken und Emotionen. Gleichzeitig ist auch der Zugriff auf erlernte Fähigkeiten und gespeicherte Informationen eingeschränkt, was eine vorausschauende Handlungsplanung deutlich erschwert.

Da wichtige und unwichtige Reize kaum unterschieden werden können, wirken sämtliche Sinneseindrücke ungefiltert auf die Betroffenen ein. Dies führt häufig zu innerer Anspannung, Überforderung und einer deutlich verminderten Konzentrationsfähigkeit.

Erbliche Vorbelastung

ADHS zählt zu den neurobiologischen Störungen, bei denen die genetische Veranlagung eine zentrale Rolle spielt. Studien zeigen, dass etwa 10 bis 15 % der direkten Familienangehörigen von Kindern mit ADHS ebenfalls von der Störung betroffen sind – was auf eine familiäre Häufung hinweist.

Zwillingsstudien untermauern diesen Zusammenhang deutlich: Rund 80 % der eineiigen Zwillinge zeigen eine übereinstimmende ADHS-Symptomatik. Bei zweieiigen Zwillingen liegt die Übereinstimmung bei etwa 30 %.

Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass bis zu 80 % aller ADHS-Erkrankungen genetisch bedingt sind. Die erblichen Faktoren beeinflussen dabei vor allem die neurobiologische Reizverarbeitung, den Dopaminhaushalt und die Funktion bestimmter Hirnareale, die für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle verantwortlich sind.

Psychosoziale Einflüsse

ADHS ist keine Erziehungsstörung. Negative Kindheitserfahrungen oder eine „schlechte Erziehung“ gelten nicht als Ursache für die Entstehung von ADHS. Die neurobiologische Grundlage der Störung ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Dennoch können ungünstige psychosoziale Rahmenbedingungen den Verlauf, die Symptomschwere und die Entwicklung zusätzlicher Störungen – wie z. B. Aggressivität, Angst oder depressive Symptome – erheblich beeinflussen.

Zu den psychosozialen Risikofaktoren, die den Umgang mit ADHS zusätzlich erschweren können, zählen:

  • Aufwachsen in einer unvollständigen Familie (z. B. nur mit einem Elternteil oder ohne Eltern)
  • Psychische Erkrankungen eines Elternteils, insbesondere eine antisoziale Persönlichkeitsstörung des Vaters oder Alkoholkonsum in der Familie
  • Familiäre Instabilität: häufige Konflikte oder Trennung der Eltern
  • Niedriges Einkommen und beengte Wohnverhältnisse
  • Inkonsequente Erziehung: fehlende oder widersprüchliche Regeln
  • Ständige Kritik, Bestrafungen oder emotionale Vernachlässigung
  • Ein unstrukturierter Tagesablauf ohne klare Routinen

Solche Bedingungen können die Selbstregulation, emotionale Stabilität und soziale Entwicklung von Kindern mit ADHS zusätzlich beeinträchtigen.

Risikofaktoren im Mutterleib

Nikotin-, Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft sowie Frühgeburtlichkeit oder Sauerstoffmangel bei der Geburt können das Risiko für ADHS bei Kindern signifikant erhöhen. Wichtig ist eine gesunde Schwangerschaft und medizinische Vorsorge, um Entwicklungsrisiken zu minimieren.

Heutiger Lebensstil

Manche Fachleute vermuten, dass die ADHS-Entwicklung durch unseren modernen Lebensstil ungünstig beeinflusst wird. Statt Wege zur Schule zu Fuß zurückzulegen und täglich im Freien zu spielen, werden Kinder mit dem Bus oder von Eltern zur Schule gebracht und meistens drinnen, allzu häufig am PC, beschäftigt. Körperliche Aktivität, sensorische Wahrnehmung aus der Natur und wirkliches „Begreifen“ mit den Händen nehmen kontinuierlich ab. Bewegungsdrang, überschießende Energie und kindliche Neugier können kaum noch ausgelebt werden.

Weniger Autorität der Eltern und Lehrer fördert zwar die freie Entfaltung gesunder Kinder, schadet jedoch dem ADHS-Kind, das klare Strukturen, Regeln und Regelmäßigkeit benötigt. Große Gruppenstärken in Kindergärten und Schulen, die individuelle Betreuung nahezu unmöglich machen, verschärfen das Problem. Insbesondere der sogenannte „offene Kindergarten“, der kaum Strukturen vorgibt, trägt dazu bei. So werden leichte Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr kompensiert und die Kinder werden zunehmend auffällig.

Hier gehts zum Online- ADHS-Test :

Tipps zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS

Was können Eltern selber tun? Können Eltern etwas tun, um die Verhaltensprobleme ihres Kindes zu bessern?

Durch ihren erzieherischen Einfluss können Eltern die Auswirkungen von ADHS und das Verhalten der Kinder beeinflussen.

Welche Grundregeln helfen Eltern bei der Erziehung?

Der Alltag mit einem Kind mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) kann herausfordernd sein. Doch mit klaren Regeln, positiver Bestärkung und einer verlässlichen Tagesstruktur können Sie Ihr Kind gezielt unterstützen – und gleichzeitig auch sich selbst entlasten.

1. Stärken wahrnehmen und bestärken

Nehmen Sie die positiven Eigenschaften und Fähigkeiten Ihres Kindes bewusst wahr und zeigen Sie Wertschätzung. Gerade in schwierigen Phasen hilft es, dem Kind zu vermitteln: „Ich mag dich, so wie du bist.“

2. Loben – auch kleine Fortschritte zählen

Kinder mit ADHS haben es schwerer als andere, Regeln einzuhalten und Aufgaben zu beenden. Loben Sie konsequent, wenn es gelingt – auch Teilerfolge und Anstrengung verdienen Anerkennung. So fördern Sie gezielt das gewünschte Verhalten (positive Verstärkung).

3. Klare und verbindliche Regeln

Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Kind überschaubare und erfüllbare Familienregeln. Klare Regeln geben Orientierung, Struktur und Sicherheit. Wichtig: Grenzen klar kommunizieren und konsequent einhalten.

4. Deutliche Ich-Botschaften verwenden

Sprechen Sie klar, einfach und direkt:

„Ich möchte, dass du alle Legosteine in die rote Kiste räumst.“

Vermeiden Sie unkonkrete Aufforderungen wie:

„Räum dein Zimmer auf.“

Teilen Sie Aufgaben in kleine, erfüllbare Schritte ein und kontrollieren Sie anschließend.

5. Tagesstruktur und Rituale etablieren

Ein strukturierter Tagesablauf mit festen Ritualen hilft Ihrem Kind, sich im Alltag besser zu orientieren. So weiß es eher, wann welches Verhalten erwartet wird.

6. Konsequent und unmittelbar reagieren

Bei Regelverstößen ist eine schnelle und konsequente Reaktion wichtig. Geeignete pädagogische Maßnahmen können sein:

  • kurze Auszeiten
  • Punktepläne mit Belohnungssystem
  • klarer Entzug von Rechten oder Privilegien

7. Kritische Situationen vorher erkennen

Bereiten Sie sich auf problematische Situationen (z. B. Hausaufgaben, Besuch, Wartezeiten) vor. Vereinbaren Sie vorher Regeln und Belohnungen für positives Verhalten.

8. Geduldig und gelassen bleiben

Bewahren Sie Ruhe, Geduld und Übersicht, auch wenn es emotional wird. Versuchen Sie, Verständnis für das Verhalten Ihres Kindes aufzubringen und nicht alles persönlich zu nehmen.

9. Streit nicht eskalieren lassen

Diskutieren Sie nicht, wenn die Emotionen hochkochen. Gönnen Sie sich und Ihrem Kind eine Pause. Verlassen Sie bei Bedarf das Zimmer, um das Thema später in Ruhe anzugehen.

10. Selbstfürsorge nicht vergessen

Kinder mit ADHS erfordern viel Energie. Achten Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse, gönnen Sie sich regelmäßig Auszeiten und Erholung. Je ausgeglichener Sie sind, desto besser können Sie Ihr Kind unterstützen.

Autoren: Kinderaerzte-im-netz.de ; fachliche Unterstützung: Dr. Klaus Skrodzki & AG ADHS e.V.

Fachliche Unterstützung: Dr. Klaus Skrodzki

letzte Änderung:06.09.2020

ADHS in der PARTNERSCHAFT

Menschen mit ADHS haben nicht nur selbst mit den Auswirkungen ihrer Symptome zu kämpfen – auch Partnerinnen, Partner und Angehörige sind häufig stark mitbetroffen. Die ADHS-Symptomatik wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus und kann eine Beziehung spürbar belasten.

Wichtig ist mir an dieser Stelle: ADHS-Betroffene tragen nicht allein die Verantwortung, wenn eine Partnerschaft schwierig verläuft oder scheitert. In der Regel sind beide Partner an Konflikten beteiligt – unabhängig von einer Diagnose. Es geht nicht darum, Menschen mit ADHS zu verurteilen oder zu stigmatisieren. Jeder Mensch bringt Licht- und Schattenseiten mit – bei ADHS zeigen sich diese oft nur anders oder intensiver.

Dieses Kapitel widmet sich daher ganz bewusst den partnerschaftlichen Herausforderungen, die durch ADHS entstehen können. Denn nur wer diese Dynamiken kennt, kann sie verstehen – und gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Die positive Nachricht zuerst:

Menschen mit ADHS können unglaublich charmant, witzig und begeisternd sein. Ihre kreativen, oft unkonventionellen Ideen sprühen vor Energie – sie sind spontan, humorvoll und voller Lebensfreude. Ihre quirlige Art macht sie in vielen Momenten zum Mittelpunkt des Geschehens.

Mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, ihrer Hypersensitivität und der Fähigkeit, feinste emotionale Schwingungen wahrzunehmen, können ADHS-Betroffene eine intensive Tiefe in zwischenmenschliche Beziehungen bringen. Ihre Energie scheint grenzenlos – sie können Bäume ausreißen, Projekte mitreißend starten und das Leben in Bewegung halten.

Das Leben an der Seite eines ADHS-Betroffenen ist selten langweilig. Überraschungen gehören zum Alltag – denn das einzig Berechenbare an ADHS ist oft: die Unberechenbarkeit. Aus jedem Moment kann etwas völlig Neues entstehen – manchmal spannend, manchmal chaotisch. Die schnellen Stimmungswechsel und Ideenfluten können faszinieren, aber auch herausfordern und überfordern.

In den folgenden Abschnitten richten wir den Blick bewusst auf die Schattenseiten, die im Alltag mit ADHS entstehen können. Denn während die bunten und lebendigen Seiten keine Anleitung brauchen, ist es gerade im Umgang mit den herausfordernden Aspekten wichtig, Verständnis zu entwickeln und konkrete Lösungswege zu finden.

Typische ADHS-Symptome führen zu typischen ADHS-Problemen:

Je ausgeprägter die ADHS-Symptomatik, desto häufiger treten zwischenmenschliche Konflikte, soziale Schwierigkeiten und mitunter auch dissoziale Verhaltensweisen auf. Gleichzeitig nehmen in gleichem Maße die Fähigkeiten zur Stressbewältigung, Kommunikation und Problemlösung ab – was den Alltag und insbesondere Partnerschaften zusätzlich belasten kann.

Es überrascht daher nicht, dass zahlreiche Studien belegen:

Partnerschaften mit ADHS-Betroffenen sind häufiger von Konflikten geprägt – und haben ein erhöhtes Risiko zu scheitern, wenn keine bewusste Auseinandersetzung mit den Herausforderungen erfolgt.

Petermann , Schütte 2006

Menschen mit ADHS sind oft besonders feinfühlig und gleichzeitig emotional verletzbar. Sie verfügen über eine hohe emotionale Reizoffenheit, was bedeutet: Gefühle treffen sie oft intensiver und unmittelbarer als andere. Es ist, als sei ihre innere Alarmanlage ständig scharf gestellt – bereit, Ablehnung, Kränkung oder Missachtung zu wittern, selbst wenn objektiv kein Anlass besteht. Dieses Phänomen lässt sich gut mit dem Satz beschreiben:

„Ich höre was, was du nicht sagst.“

Freude, Wut, Traurigkeit oder Kränkung – alle Emotionen werden verstärkt erlebt. Ihre Impulsivität ist häufig eine direkte Folge dieser intensiven Gefühlsreaktionen. Schon kleine, unbeabsichtigte Bemerkungen oder harmlose Situationen können als persönliche Kränkung interpretiert werden und zu heftigen emotionalen Reaktionen führen:

  • Angriff,
  • Rückzug,
  • langwierige Diskussionen,
  • plötzliche Stimmungskippungen.

Für Partner oder Angehörige sind diese Reaktionen oft schwer nachvollziehbar. Sie erleben, wie aus einem harmonischen Moment plötzlich ein heftiger Streit wird – scheinbar ohne Vorwarnung. Dieses ständige emotionale Auf und Ab führt nicht selten zu Dauerstress, denn die Situation ist schwer einschätzbar:

„Wann kippt die Stimmung wieder?“

Viele Betroffene wirken in solchen Momenten wie „Mimosen mit einer Holzkeule“:

  • Auf der einen Seite empfindlich und schnell verletzt,
  • auf der anderen Seite selbst heftig und verletzend im Ausdruck.

Sie regen sich auf, geraten in Rage, sagen verletzende Dinge – und vergessen alles kurz darauf wieder.

Wenn Partner später auf das Geschehene zurückkommen, erleben sie häufig Unverständnis:

„Wieso sprichst du das noch an? Das ist doch längst vorbei.“

Dieses Missverhältnis zwischen Erleben und Erinnerung kann in Beziehungen zu großer Belastung führen:

  • Der ADHS-Betroffene hat die emotionale Eskalation längst abgehakt,
  • Der Partner hingegen verarbeitet sie noch – und fühlt sich nicht ernst genommen oder allein gelassen.

Viele Menschen mit ADHS neigen zu einem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Denken. Für sie existieren oft nur Extreme:

„entweder – oder“,

„himmelhoch jauchzend – oder zu Tode betrübt“,

„totale Begeisterung – oder völlige Ablehnung“.

Diese Sichtweise lässt kaum Raum für Zwischentöne. Was heute als „fantastisch“ empfunden wird, kann morgen schon „katastrophal“ sein. Begeisterung schlägt plötzlich in Desinteresse um – besonders dann, wenn etwas nicht sofort gelingt, zu viel Geduld erfordert oder Erwartungen nicht erfüllt werden.

Das Problem mit der Mitte: Sie erscheint langweilig. Doch genau dort, in der Mitte, liegt im Alltag oft die größte Stabilität. ADHS-Betroffene jedoch erleben Langeweile als schwer aushaltbar – sie meiden sie instinktiv, was zu einem ständigen Suchen nach Reiz, Abwechslung oder Intensität führt.

Diese Polarisierung betrifft nicht nur Aktivitäten, sondern auch Beziehungen:

  • Menschen werden entweder begeistert idealisiert oder schlagartig abgewertet.
  • Ein neues Hobby wird mit voller Leidenschaft verfolgt – bis ein Rückschlag oder eine Frustration eintritt, dann wird es plötzlich komplett aufgegeben.

Das Verhalten erscheint Außenstehenden oft unverständlich:

„Warum ist plötzlich alles schlecht, nur weil eine Kleinigkeit nicht gepasst hat?“

„Wieso gibt es nur ganz oder gar nicht?“

Doch dieses Denken in Gegensätzen hat neurobiologische Ursachen und ist ein typisches Merkmal vieler ADHS-Verläufe. Leider führt es dazu, dass Betroffene oft nur einen eingeschränkten Teil der Realität wahrnehmen. Die Welt in all ihren Nuancen – mit Unsicherheiten, Graubereichen und Zwischentönen – bleibt ihnen teilweise verborgen.

Für Angehörige ist das emotional sehr fordernd:

  • Sie erleben plötzliche Ablehnung, wo vorher Nähe war.
  • Sie verstehen nicht, warum sich Meinungen und Gefühle so abrupt ändern.
  • Sie fühlen sich häufig verunsichert oder emotional entwertet, wenn sie aus scheinbar nichtigem Anlass „in die Grube fallen“.

Durch das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken nehmen viele ADHS-Betroffene die Welt oft nur in Gegensätzen wahr. Zwischentöne, Graubereiche und emotionale Nuancen gehen dabei verloren – obwohl das Leben so viel mehr Farben bietet als nur Schwarz oder Weiß.

Für Angehörige ist dieses Denken in Extremen oft kaum nachvollziehbar:

  • Was eben noch begeistert gefeiert wurde, wird plötzlich komplett abgelehnt.
  • Was eben noch Nähe war, wird zur Zurückweisung.
  • Stimmungsschwankungen geschehen abrupt – ohne erkennbaren Auslöser.

Diese emotionalen Wechsel wirken auf Mitmenschen oft:

  • belastend – weil sie sich nicht darauf einstellen können,
  • anstrengend – weil sie permanent präsent und vorsichtig sein müssen,
  • verunsichernd – weil nichts wirklich planbar oder stabil erscheint,
  • mitunter sogar beängstigend, wenn die Reaktionen heftig und unkontrollierbar ausfallen.

Viele Partner*innen von ADHS-Betroffenen leben in einem Zustand permanenter Alarmbereitschaft. Sie wissen oft nicht:

„Wie wird die Stimmung gleich sein?“

„Reagiert mein Partner wieder über, wenn ich dieses Thema anspreche?“

Wenn der ADHS-Partner laut wird, die Beherrschung verliert, andere beschimpft, Türen knallt oder wutentbrannt den Raum verlässt, empfinden viele Angehörige nicht nur Stress, sondern auch Scham und Peinlichkeit – besonders in sozialen Situationen.

Die ständige Unvorhersehbarkeit des Verhaltens kann zur inneren Erschöpfung führen. Beziehungen geraten dadurch unter Druck – nicht, weil es an Liebe fehlt, sondern weil Daueranspannung, Unsicherheit und Kontrollverlust die emotionale Nähe überschattet.

Viele ADHS-Betroffene handeln spontan und impulsiv, ohne über die Folgen ihres Verhaltens nachzudenken. Ihre hohe emotionale Reizbarkeit führt häufig zu unverhältnismäßig starken Reaktionen – sei es Wut, Rückzug oder lautstarke Konfrontation. Dabei wird selten bewusst wahrgenommen, was genau das eigene Verhalten auslöst oder wie es auf andere wirkt.

Typisch ist das Muster:

„Erst gemacht – dann gedacht.“

Emotionen werden ungefiltert nach außen getragen, ohne dass Betroffene vorher innehalten oder reflektieren, wie ihr Verhalten auf das Umfeld wirkt. Für Angehörige kann das verletzend oder erschreckend sein – insbesondere, wenn sie das Verhalten als überzogen oder unkontrollierbar erleben.

Achtsamkeit statt Impuls – ein zentraler Therapieschritt

Ein zentraler Bestandteil der ADHS-Therapie besteht darin, dass Betroffene lernen, sich emotional zu regulieren und Zeit zwischen Reiz und Reaktion zu gewinnen. Ziel ist es, nicht mehr ausschließlich aus dem Bauch heraus zu agieren, sondern durch:

  • Achtsamkeit im Moment zu bleiben,
  • die eigene Emotion bewusst wahrzunehmen,
  • das Verhalten gezielt zu steuern.

Reflexion statt Reaktion

Nur wenn ADHS-Betroffene lernen, innezuhalten und Situationen zu analysieren, können sie angemessen und beziehungsfördernd reagieren – ohne ihr Umfeld durch unbedachte Worte oder Taten unnötig zu verletzen.

Diese Fähigkeit lässt sich trainieren – und ist ein entscheidender Schritt zu mehr Selbststeuerung, innerer Stabilität und gelingenden Beziehungen.

Das Leben von ADHS-Betroffenen ist oft geprägt von plötzlichen und intensiven Stimmungsschwankungen. Ihre emotionale Lage kann sich innerhalb kürzester Zeit verändern – von fröhlich zu wütend, von begeistert zu entmutigt. Für die Betroffenen selbst ist dieses Auf und Ab häufig „normal“, da sie es nicht anders kennen.

Für Partner*innen und Angehörige hingegen ist dieses emotional instabile Verhalten oft sehr belastend. Das emotionale Erleben wird von ihnen als Achterbahnfahrt empfunden – mit unvorhersehbaren Wendungen, abrupten Reaktionen und großer Intensität.

In Wut- oder Stressmomenten können ADHS-Betroffene zu echten „Rumpelstilzchen“ oder „Hitzeblitzen“ werden – laut, impulsiv, überfordernd. Wichtig ist zu verstehen:

In solchen Momenten fühlen sie sich meist von allem und jedem angegriffen – unabhängig davon, was tatsächlich gesagt oder gemeint wurde.

Was Angehörige wissen sollten

Diskussionen im Affekt führen zu nichts: In Momenten emotionaler Eskalation sind Betroffene nicht zugänglich für Argumente oder sachliche Gespräche.

Der wichtigste Rat lautet daher:

Nehmen Sie sich eine Auszeit. Ziehen Sie sich bewusst zurück. Schweigen ist in solchen Momenten oft hilfreicher als jede Erklärung.

Strategie für Betroffene: Auszeit statt Ausrasten

Auch ADHS-Betroffene selbst können lernen, mit emotionalen Überreaktionen besser umzugehen. Ein zentraler Schritt dabei ist:

  • Die Situation bewusst zu verlassen,
  • durchzuatmen,
  • sich zu regulieren,
  • und mit zeitlichem Abstand zurückzukehren.

Diese Technik lässt sich zusammenfassen als:

„Auszeit statt Ausrasten.“

Ebenso wichtig ist es, dem Partner vorher zu kommunizieren, dass man gerade Abstand braucht – damit dieser sich nicht abgelehnt, sondern mitgenommen fühlt.

Später, mit klarem Kopf, kann die Situation in Ruhe und wertschätzend besprochen werden.

ADHS-Betroffene zeigen oft zwei scheinbar gegensätzliche Seiten:

Sie können unglaublich liebevoll, empathisch und unterstützend sein – mit einer bemerkenswerten emotionalen Feinfühligkeit und großer Kreativität. Umso schwerer ist es für Angehörige zu verstehen, wenn sich die Stimmung scheinbar aus dem Nichts drastisch verändert.

Was eben noch sensibel und liebevoll war, kann sich innerhalb von Sekunden in Wut, Trotz oder Rückzug verwandeln.

Der einfühlsame Partner wird plötzlich zum wutentbrannten Rumpelstilzchen – unkontrollierbar, laut, impulsiv. Und kurz danach ist der Gefühlsausbruch für den ADHS-Betroffenen oft einfach vergessen.

Für das Gegenüber aber bleiben Anspannung, Verwirrung, Ärger oder sogar Angst zurück. Die emotionale Diskrepanz erzeugt tiefes Unverständnis:

  • Wie kann ein Mensch so liebevoll und gleichzeitig so verletzend sein?
  • Wie kann er so schnell umschalten – und sich an nichts mehr erinnern?

Wenn Nähe zu viel wird

ADHS-Betroffene können in bestimmten Situationen stur, trotzig oder irrational reagieren – besonders, wenn sie sich eingeengt oder überfordert fühlen.

Wird die sogenannte Fluchtdistanz unterschritten (also der emotionale oder körperliche Abstand, den sie in dem Moment brauchen), kann es zu heftigen, oft unangemessenen Reaktionen kommen – sogar gegenüber Fremden.

Treffen zwei angespannte oder gereizte Menschen aufeinander, kann sich die Situation gefährlich aufschaukeln – besonders, wenn beide Beteiligten impulsiv reagieren. Das Risiko emotionaler oder sogar körperlicher Eskalation steigt.

Emotionales Vergessen – für Partner oft schwer verständlich

Ein weiteres Phänomen, das Angehörige immer wieder sprachlos macht:

Der ADHS-Betroffene erinnert sich häufig nicht mehr an seine eigenen Wutausbrüche oder emotionale Eskalationen.

Was für den einen ein schmerzhafter Streit war, ist für den anderen längst vorbei und abgehakt – als wäre nichts geschehen.

Diese fehlende emotionale Nachverarbeitung führt bei Partnern zu:

  • Selbstzweifeln („Habe ich etwas falsch gemacht?“),
  • Schuldgefühlen („Bin ich der Auslöser?“),
  • dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

Viele ADHS-Betroffene erleben ein stark schwankendes Selbstwertgefühl.

In einem Moment glauben sie, alles erreichen zu können – voller Tatendrang, Energie und Überzeugung. Im nächsten Moment brechen Selbstzweifel über sie herein – oft ausgelöst durch Frustration, Kritik oder Misserfolge.

Diese emotionale Instabilität kann zu zwei typischen Reaktionsmustern führen:

  • Tiefes Selbstmitleid

oder

  • das Abgeben der Verantwortung – andere (z. B. der Partner) werden dann als Schuldige für das eigene Scheitern gesehen.

Diese Wechsel zwischen Größenfantasie und Verzweiflung sind nicht nur für die Betroffenen selbst schwer auszuhalten, sondern stellen auch eine große Herausforderung für eine stabile Beziehung dar.

Chaos im Alltag – wenn Struktur fehlt

Ordnung und Organisation zählen für viele ADHS-Betroffene zu den größten Alltagsproblemen. Das kann zu einem dauerhaften Gefühl von Chaos und Unzuverlässigkeit führen – für Partner oft nur schwer zu ertragen. Besonders dann, wenn Versprechen nicht eingehalten oder gemeinsame Pläne ständig über den Haufen geworfen werden.

Vergesslichkeit als Beziehungsbelastung

Vergesslichkeit ist ein häufiges Symptom bei ADHS – mit spürbaren Folgen im Alltag:

  • Termine werden vergessen
  • Absprachen gehen unter
  • wichtige Aufgaben bleiben liegen

Auch wenn ADHS-Betroffene das nicht böse meinen, entsteht bei Partnern oft der Eindruck:

„Ich bin ihm/ihr nicht wichtig genug.“

Die fehlende Verlässlichkeit wird als fehlende Wertschätzung empfunden – und führt langfristig zu Frustration, Kränkung und emotionaler Distanz.

Rollenverschiebung: Wenn der Partner zum Elternteil wird

Um die ständige Unzuverlässigkeit auszugleichen, geraten Partner:innen oft in eine bevormundende Kontrollrolle.

  • Sie erinnern, organisieren, fragen nach, übernehmen Aufgaben.
  • Sie werden zum „Manager“ des gemeinsamen Alltags – oder schlimmer: zum Ersatz-Elternteil.

Diese Dynamik führt unweigerlich zu einer Schieflage in der Beziehung:

  • Der ADHS-Betroffene nimmt die „Kindrolle“ ein, fühlt sich kontrolliert und entzieht sich zunehmend der Verantwortung.
  • Der Partner wird emotional und organisatorisch überlastet – und empfindet das Verhalten als bequem oder undankbar.

Die Folge: Wachsende Spannungen, Vorwürfe und Entfremdung.

Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird dadurch immer schwieriger.

1. Vergesslichkeit im Alltag – mehr als nur Unachtsamkeit

Die Vergesslichkeit von ADHS-Betroffenen betrifft weit mehr als das Vergessen von Terminen oder Alltagsaufgaben. Es fällt ihnen oft schwer, sich an vergangene Gespräche, Konflikte oder Ereignisse zu erinnern – selbst wenn diese erst kürzlich stattfanden.

„Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist für viele ADHS-Betroffene kein Sprichwort, sondern tägliche Realität.

Ein Streit vom Vortag? Schon vergessen.

Eine Abmachung vor drei Tagen? Wird oft nicht erinnert.

Gleichzeitig zeigt sich jedoch eine emotionale Einseitigkeit:

Für selbst empfundene Kränkungen haben viele ADHS-Betroffene ein regelrechtes Elefantengedächtnis – sie bleiben haften, oft über Jahre hinweg. Diese Ungleichverteilung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung führt in Beziehungen häufig zu Missverständnissen und Spannungen.

2. ADHS und das veränderte Zeitgefühl – Leben im Jetzt

ADHS-Betroffene erleben Zeit nicht linear und kontinuierlich, sondern oft fragmentiert und ungenau.

  • Was gestern war, fühlt sich an wie vor Wochen.
  • Was letzte Woche geschah, scheint in weiter Ferne.
  • Die nächste Stunde? Unfassbar schwer greifbar.

Diese sogenannte „Zeitblindheit“ hat spürbare Folgen:

  • Schwierigkeiten, die Dauer von Tätigkeiten einzuschätzen
  • häufiges Verzetteln vor Terminen
  • chronische Unpünktlichkeit trotz bester Absichten

Typisch ist das Verhalten:

„Ich habe noch Zeit – ich fang schnell noch etwas an…“

…und schon ist der Termin vergessen oder wird zu spät wahrgenommen.

Das Tragische: ADHS-Betroffene hassen es oft selbst zu warten, muten aber gleichzeitig anderen regelmäßig genau das zu. Das führt zu Frustration bei Partnern, die sich nicht ernst genommen oder abgewertet fühlen – obwohl es keine böse Absicht ist.

3. Erfahrungsblindheit – Warum Lernen aus Fehlern schwerfällt

Ein weiteres häufig übersehenes Phänomen ist die eingeschränkte Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen.

Viele ADHS-Betroffene wiederholen trotz guter Intelligenz immer wieder dieselben Fehler. Der Grund liegt nicht im mangelnden Verstehen – sondern im fehlenden inneren Zugriff auf das Erlebte.

  • Erlebnisse sind oft nicht emotional abrufbar,
  • sie werden nicht als Lernquelle integriert,
  • vergangene Situationen wirken fern oder nicht bedeutungsvoll genug, um als Warnsignal zu dienen.

Man kann hier von einer „Erfahrungsblindheit“ sprechen – was für Angehörige oft unverständlich bleibt:

„Wie kann jemand so klug sein – und trotzdem immer wieder dasselbe tun?“

Fazit: Zwischen Vergesslichkeit, Zeitverlust und Beziehungskonflikt

Die Kombination aus Vergesslichkeit, Zeitblindheit und erfahrungsblindem Verhalten stellt eine große Herausforderung im Alltag und besonders in Beziehungen dar. Termine werden vergessen, Vereinbarungen nicht eingehalten, Pünktlichkeit wird zum Dauerproblem.

Partner erleben das häufig als fehlende Verlässlichkeit oder mangelnde Wertschätzung – obwohl der ADHS-Betroffene es ganz anders meint.

Umso wichtiger sind:

  • Klare Strukturen,
  • praktische Erinnerungshilfen,
  • und gegenseitiges Verständnis, um solche Muster zu erkennen – und gemeinsam daran zu arbeiten.

Schwierige Verhaltensweisen in Beziehungen mit ADHS

Konflikte gehören zu jeder Beziehung – doch ADHS erschwert den Umgang damit

In jeder Partnerschaft entstehen Konflikte – sie sind normal und oft sogar notwendig für persönliche Entwicklung und Beziehungswachstum. Entscheidend ist, wie Konflikte gelöst werden.

ADHS-Betroffenen fällt es jedoch häufig schwer, eine funktionierende Streitkultur und Problemlösekompetenz zu entwickeln. Gründe dafür liegen in typischen Begleiterscheinungen der Störung:

  • Impulsivität und Stimmungsschwankungen
  • geringe Frustrationstoleranz
  • hohe emotionale Reizbarkeit
  • mangelnde Impulskontrolle

All das erschwert es, ruhig zu bleiben, innezuhalten und Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Ungeduld, Frust und der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung

ADHS-Betroffene neigen zu großer Ungeduld – sie wollen alles sofort, jetzt und gleich. Wird ein Wunsch nicht erfüllt oder läuft etwas anders als erwartet, kann dies zu starken Enttäuschungsreaktionen, Wut oder Rückzug führen.

Alltägliche Herausforderungen wie:

  • Verzicht,
  • Ungerechtigkeit oder
  • Frustration

werden oft nur schwer akzeptiert. Der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung kollidiert dabei mit den realen Anforderungen einer partnerschaftlichen Beziehung, in der Kompromisse und Rücksichtnahme notwendig sind.

Kritikunfähigkeit und emotionale Überreaktion

Ein weiteres zentrales Thema ist der Umgang mit Kritik. Selbst wohlmeinendes Feedback wird von ADHS-Betroffenen häufig als persönlicher Angriff empfunden.

Sie neigen dazu:

  • Kritik zu generalisierten Ablehnung umzudeuten,
  • in Abwehrhaltungen (Angriff oder Flucht) zu verfallen,
  • emotional zu eskalieren, obwohl die Situation sachlich lösbar wäre.

Das Gehirn reagiert im „Alarmmodus“, als sei Kritik existenzbedrohend – eine Überlebensreaktion aus archaischen Hirnstrukturen (Reptilienhirn). Im sozialen Kontext ist diese Reaktion jedoch unangemessen und für Partner befremdlich.

Wird Kritik dauerhaft vermieden oder nicht verarbeitet, bleiben Konflikte ungelöst und kehren immer wieder zurück – mit zunehmendem Zerstörungspotenzial für die Beziehung.

Ich-Bezogenheit und Wahrnehmungsverzerrung

ADHS-Betroffene sind oft so sehr mit sich selbst und ihren inneren Zuständen beschäftigt, dass sie die Bedürfnisse ihres Umfelds kaum wahrnehmen. Das ist nicht böse gemeint, sondern Teil der aufmerksamkeitsbezogenen Symptomatik. Trotzdem kann es für Partner verletzend sein, wenn:

  • keine Rücksicht genommen wird,
  • Empathie nur selektiv vorhanden ist,
  • der Fokus ausschließlich auf dem eigenen Erleben liegt.

Diese Ich-Zentrierung führt zu:

  • Überbewertung eigener Leistungen,
  • Unterbewertung der Beiträge anderer,
  • emotionaler Doppelmoral (eigenes Leid zählt mehr als das anderer).

Insbesondere in Stress- oder Konfliktsituationen werden Worte des Gegenübers überinterpretiert, auf die Goldwaage gelegt – während die eigene Schärfe im Ton nicht reflektiert wird.

Trotzverhalten, Reifungsdefizite und mangelnder Bedürfnisaufschub

Viele ADHS-Betroffene zeigen typische Merkmale eines emotionalen Reifungsdefizits:

  • starke Stimmungsschwankungen,
  • kindliches Trotzverhalten,
  • Unfähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben.

Sie wirken in solchen Momenten wie „kleine Rumpelstilzchen im Erwachsenenalter“, die sich mit aller Kraft durchsetzen wollen.

Kompromisse werden schwer ertragen, das Zurückstellen eigener Bedürfnisse ist oft kaum möglich. Diese Maßlosigkeit kann langfristig zu Unzufriedenheit, Suchtgefährdung und Beziehungsüberforderung führen.

Vergleiche, Selbstabwertung und das Gefühl, zu kurz zu kommen

Ein häufiges Muster bei ADHS ist der ständige Vergleich mit anderen – und das Gefühl, zu kurz zu kommen. Auch wenn sie objektiv viel Aufmerksamkeit oder Unterstützung erhalten, glauben viele Betroffene:

„Die anderen haben es besser.“

„Ich komme immer zu kurz.“

Dieses Denken führt zu Unzufriedenheit, Neid und in Familien häufig zu Unausgewogenheit – etwa wenn Geschwister emotional benachteiligt werden, weil das Kind mit ADHS den Großteil der elterlichen Energie beansprucht.

Fazit: Beziehungsgestaltung mit ADHS braucht Klarheit, Struktur – und Verständnis auf beiden Seiten

Schwierige Verhaltensweisen in Beziehungen mit ADHS sind kein Ausdruck von bösem Willen, sondern oft die Folge neurobiologischer Besonderheiten. Doch sie haben reale Auswirkungen auf das Miteinander – besonders dann, wenn sie nicht erkannt, benannt und bearbeitet werden.

Partnerschaften mit ADHS können gelingen, wenn:

  • klare Strukturen geschaffen werden,
  • Kritik behutsam, aber ehrlich formuliert wird,
  • emotionale Reaktionen nicht persönlich genommen,
  • und gemeinsam Strategien zur Emotionsregulation und Kommunikation entwickelt werden.

ADHS und Arbeitsverhalten – zwischen Entscheidungslähmung und Aktionismus

Entscheidungs- und Priorisierungsprobleme

Ein zentrales Merkmal im Arbeitsverhalten von ADHS-Betroffenen ist die Schwierigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Selbst bei einfachen Entscheidungen wie:

„Soll dieses Dokument weggeworfen werden?“

fällt es schwer, Klarheit zu finden – aus Angst, etwas Relevantes zu übersehen.

Die Folge:

  • Unsortierte Papierstapel,
  • überfüllte Schreibtische,
  • und das Gefühl, im Chaos zu versinken.

Diese Entscheidungslähmung ist eng verbunden mit einer Priorisierungsschwäche:

Wenn alles gleich wichtig erscheint, wird es nahezu unmöglich, gezielt anzufangen oder Aufgaben sinnvoll zu ordnen.

Verzettelung und Aufschieberitis (Prokrastination)

ADHS-Betroffene neigen dazu, sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren.

  • Statt mit der wichtigsten Aufgabe zu beginnen,
  • beschäftigen sie sich mit Details,
  • oder starten gar nicht – aus Überforderung durch die unklare Struktur.

Die Folge:

Ein Wechsel zwischen totalem Stillstand und impulsivem Aktionismus.

„Erst gemacht – dann gedacht.“

Das führt häufig zu:

  • unüberlegten Entscheidungen,
  • unzureichender Planung,
  • und unbefriedigenden Arbeitsergebnissen.

Stimmungsabhängigkeit und Meinungswechsel

Ein weiteres typisches ADHS-Muster:

Stimmungen und äußere Impulse beeinflussen Entscheidungen stark.

  • Eine neue Idee kann eine alte völlig verdrängen,
  • Begeisterung wechselt abrupt zu Desinteresse,
  • Entscheidungen werden revidiert – ohne andere darüber zu informieren.

Oft wirken diese plötzlichen Richtungswechsel auf Außenstehende verwirrend oder inkonsequent,

obwohl sie für den ADHS-Betroffenen im Moment vollkommen logisch erscheinen.

Entscheidungsvermeidung und das „Alles-Wollen“

Viele ADHS-Betroffene vermeiden Entscheidungen, weil:

  • sie sich nicht festlegen wollen,
  • sie nichts ausschließen möchten,
  • oder sie Angst haben, sich falsch zu entscheiden.

Das führt zu:

  • endlosem Aufschieben,
  • spontanem, unreflektiertem Handeln,
  • und unklaren, unkommunizierten Richtungswechseln.

Ergebnis: Entscheidungen entstehen oft impulsiv – nicht geplant. Und sie bringen selten das gewünschte Ergebnis.

Hyperaktiv vs. hypoaktiv – zwei Gesichter der ADHS im Alltag

Hyperaktive ADHS-Betroffene: Rastlosigkeit und Reizsuche

Menschen mit hyperaktivem ADHS brauchen ständig Reize und Aktivität.

Stillstand, Langeweile oder Ruhe werden als unerträglich empfunden.

  • Selbst im Urlaub fällt es schwer, abzuschalten.
  • Erholung bedeutet Aktion – nicht Entspannung.
  • Die Umgebung wird permanent mitgezogen – was für Angehörige sehr anstrengend sein kann.

Hypoaktive ADHS-Betroffene: Langsamkeit und Trägheit

Im Gegensatz dazu sind hypoaktive ADHS-Betroffene oft still, langsam und verträumt.

Sie wirken auf andere:

  • passiv,
  • unorganisiert,
  • träge oder unmotiviert.

Diese Gegensätze im Verhalten zeigen, wie individuell sich ADHS ausprägen kann – und wie stark das Arbeiten im Alltag, im Team oder in der Partnerschaft davon beeinflusst wird.

Fazit: Struktur, Selbstbeobachtung und klare Kommunikation sind entscheidend

Das Arbeitsverhalten von ADHS-Betroffenen ist geprägt von:

  • Priorisierungsschwäche,
  • Impulsivität,
  • Stimmungsabhängigkeit
  • und teils extremen Unterschieden im Energielevel.

Was hilft:

  • Klare Tagesstrukturen,
  • Prioritätenlisten,
  • Transparenz bei Entscheidungen,
  • und ein Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster.

So wird der Alltag planbarer – für Betroffene und ihr Umfeld.

Langsamkeit, Diskussionen und Schlafprobleme – weitere Beziehungshürden bei ADHS

Das unterschiedliche Zeitempfinden – ein unterschätzter Konflikt

Hypoaktive ADHS-Betroffene haben oft ein ganz eigenes Zeitgefühl, das sich stark von dem ihrer Partner unterscheidet.

Beispiel:

  • Der Partner braucht 30 Minuten zum Staubsaugen
  • der ADHS-Betroffene braucht dafür zwei Stunden.

Beide Seiten messen die Zeit unterschiedlich:

  • Der Partner bewertet den tatsächlichen Zeitaufwand anhand seiner eigenen Maßstäbe.
  • Der ADHS-Betroffene hingegen empfindet seine investierte Zeit als vollwertige Arbeitszeit.

Diese Diskrepanz führt häufig zu Missverständnissen und Frust:

  • Der Partner fühlt sich überlastet und glaubt, „alles allein machen zu müssen“.
  • Der ADHS-Betroffene fühlt sich nicht wertgeschätzt, weil seine Mühe übersehen wird.

Oft ist Betroffenen nicht bewusst, wie langsam und ineffizient sie arbeiten, da ihr inneres Zeitkonto anders funktioniert.

Zermürbende Endlosdiskussionen – und das Streben nach dem letzten Wort

ADHS-Betroffene geraten häufig in ausufernde Grundsatzdiskussionen, die sich im Kreis drehen. Sie:

  • wiederholen die gleichen Argumente,
  • springen von Thema zu Thema,
  • und haben oft den inneren Drang, das letzte Wort haben zu müssen.

Diese Art der Kommunikation kann auf Dauer sehr belastend für Partner und Familienmitglieder sein. Diskussionen werden nicht besser, wenn sie ewig dauern – und auch nicht überzeugender, wenn sie lauter oder emotionaler geführt werden.

Wichtig zu verstehen:

Kürze, Klarheit und Sachlichkeit sind für ADHS-Betroffene oft schwer umzusetzen – aber entscheidend für eine gelingende Kommunikation.

Wenn der Alltag zu Last wird – und der Charme an seine Grenzen stößt

Der oft beschriebene Charme von ADHS-Betroffenen – ihr Humor, ihre Spontanität, ihr Ideenreichtum – trägt viele Beziehungen durch die Anfangszeit. Doch auf Dauer kommen auch die Herausforderungen stärker zum Vorschein:

  • das Vermeiden unangenehmer Aufgaben,
  • das Setzen persönlicher Prioritäten auf Spaß und Impuls,
  • das Verstricken in Ausreden oder Schuldzuweisungen.

Wenn Partner diese Muster wiederholt erleben, kann Frustration, Enttäuschung und Überforderung die Beziehung dominieren – insbesondere, wenn Veränderungen ausbleiben.

Kommunikation lernen: Weniger Worte – mehr Wirkung

Für viele ADHS-Betroffene ist es schwer, sich kurz und präzise auszudrücken. In Diskussionen neigen sie dazu:

  • sich zu verzetteln,
  • vom Thema abzuschweifen,
  • und den roten Faden zu verlieren.

Dabei gilt:

Kurze, klare Statements sind oft wirkungsvoller als ein langer Redeschwall.

Die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist nicht nur im Gespräch, sondern auch im Alltag eine wichtige Ressource, die trainiert werden kann – z. B. durch therapeutisches Coaching, Achtsamkeit oder Kommunikationsstrategien.

Schlafstörungen und verschobene Rhythmen – ein unsichtbares Problem

Ein häufig übersehenes, aber stark belastendes Thema: Schlafprobleme bei ADHS.

Diese können sich äußern als:

  • Ein- und Durchschlafstörungen,
  • extrem leichter Schlaf,
  • nächtliches Aufschrecken bei kleinsten Reizen,
  • oder ein verschobener Tag-Nacht-Rhythmus.

Viele ADHS-Betroffene:

  • kommen morgens schwer in Gang,
  • werden abends aktiv,
  • und leben zunehmend gegen den natürlichen Tag-Nacht-Zyklus.

Das führt zu:

  • wenig gemeinsamer Zeit mit dem Partner,
  • sozialer Isolation,
  • dem Verlust von Tageslicht – besonders in den Wintermonaten.

Ein dauerhaft verschobenes Schlafverhalten kann das Gefühl verstärken, nicht mehr „im Leben“ zu stehen, was sowohl die psychische Gesundheit als auch die Beziehungsqualität negativ beeinflusst.

Fazit: Verständnis braucht Wissen – und Veränderung braucht Struktur

Ob es um Zeitgefühl, Kommunikation, Alltagstempo oder Schlafverhalten geht – viele Herausforderungen in ADHS-Beziehungen sind nicht willentlich gesteuert, sondern Teil der neurobiologischen Störung.

Doch das bedeutet nicht, dass man ihnen hilflos ausgeliefert ist.

Was hilft:

  • Transparenz im Umgang mit Unterschieden,
  • klare Absprachen,
  • gemeinsame Strategien für Struktur, Kommunikation und Selbstfürsorge.

So lassen sich Reibungspunkte reduzieren – und das Miteinander entlasten.

Finanzen, Risiko und Beziehungskonflikte – Wenn ADHS den Alltag erschwert

1. ADHS und Schulden – wenn Impulsivität das Konto überzieht

Viele ADHS-Betroffene geraten im Laufe ihres Lebens in finanzielle Schwierigkeiten – häufig nicht aus bösem Willen, sondern aufgrund typischer ADHS-Muster:

  • Impulsives Konsumverhalten
  • fehlende Planungskompetenz
  • geringe Frustrationstoleranz
  • mangelnde Übersicht über laufende Verpflichtungen

Die Fähigkeit, einen Wunsch aufzuschieben, ist bei vielen ADHS-Betroffenen nur schwach ausgeprägt.

„Ich will das – und zwar jetzt.“

Das führt dazu, dass Wünsche sofort erfüllt werden, ohne zu prüfen, ob das finanziell tragbar ist. Kreditkarten, Ratenkäufe und Online-Shopping verschärfen diese Problematik zusätzlich.

2. Kaufsucht und Verlust der Kontrolle

Manche Betroffene entwickeln eine regelrechte Kaufsucht – das Kaufen dient als kurzfristiger Stimmungsbooster, ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen. Rechnungen werden ignoriert, Inkassoschreiben häufen sich, Mahngebühren explodieren.

Typisch ist:

  • fehlender Überblick über laufende Ausgaben, Abos, Versicherungen
  • keine klare Budgetstruktur
  • Vermeidung unangenehmer Post oder Kontoauszüge

Wenn dann eine unerwartete Ausgabe – etwa eine kaputte Waschmaschine – hinzukommt, ist die finanzielle Belastungsgrenze schnell überschritten.

Gerade in Familien- oder Paarbeziehungen führt dieses Verhalten zu massiven Spannungen. Der Eindruck entsteht:

„Ich muss alles auffangen – mein Partner ist nicht verantwortungsfähig.“

3. Risikoverhalten – Nervenkitzel mit gefährlichen Folgen

Viele ADHS-Betroffene suchen gezielt Risiko und Spannung. Sie erleben dabei oft einen euphorisierenden „Kick“, der ihnen hilft, sich lebendig zu fühlen oder innere Unruhe zu regulieren.

Typische Muster:

  • Extremsportarten mit hoher Verletzungsgefahr
  • riskantes Verhalten im Straßenverkehr
  • Grenzüberschreitungen im Alltag (z. B. beim Autofahren, Klettern, Motorradfahren)

Für Partner und Angehörige ist dieses Verhalten oft hochbelastend:

  • Sie fühlen sich ständig in Sorge,
  • haben Angst vor schweren Unfällen,
  • und erleben das Verhalten als rücksichtslos und unberechenbar.

4. ADHS im Straßenverkehr – unterschätzte Gefahr

ADHS-Betroffene haben nachweislich ein deutlich erhöhtes Unfallrisiko – und die Unfälle sind oft schwerer als im Durchschnitt. Gründe sind u. a.:

  • hohe Impulsivität,
  • mangelnde Geduld,
  • und starke Ablenkbarkeit.

Ein klassisches Beispiel:

Der riskante Überholversuch auf der Landstraße, weil das Fahren hinter einem „Langsamfahrer“ als unerträglich empfunden wird.

Diese Risikobereitschaft im Verkehr ist nicht nur gefährlich, sondern kann zu ständigen Beziehungskonflikten führen – etwa wenn Partner immer wieder warnen, mahnen oder gar nicht mehr mitfahren wollen.

Fazit: Zwischen Reizsuche und Alltagsverantwortung

Ob beim Umgang mit Geld, dem Bedürfnis nach Nervenkitzel oder im Straßenverkehr – viele Verhaltensmuster von ADHS-Betroffenen sind emotional getrieben, spontan und wenig reflektiert. Doch die Konsequenzen treffen nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Umfeld.

Was helfen kann:

  • Therapeutische Aufarbeitung von Impulskontrolle und Selbstregulation
  • Klare Finanzstruktur mit professioneller Unterstützung
  • Paarberatung, um wieder gemeinsam Verantwortung zu tragen
  • Schulungen oder Trainings speziell für ADHS im Straßenverkehr

ADHS und Sexualität – zwischen Maßlosigkeit, Ablenkung und emotionaler Leere

1. Höheres Risiko für Suchterkrankungen – auch im Bereich Sexualität

Menschen mit ADHS entwickeln nachweislich häufiger Suchterkrankungen als der Durchschnitt. Dieses Verhalten erstreckt sich nicht nur auf Substanzen wie Alkohol oder Drogen, sondern betrifft auch nicht-stoffgebundene Süchte – darunter auch Sexsucht.

Dieses Thema ist so komplex, dass es in vielen Fällen ein eigenes therapeutisches Kapitel verdient. Doch auch im Rahmen einer Partnerschaft kann es zu einer erheblichen emotionalen Belastung und wiederkehrenden Konflikten führen.

2. Sexualität bei ADHS: Zwischen Hypersexualität und Desinteresse

Sexualität wird von ADHS-Betroffenen oft in extremen Formen erlebt:

  • Auf der einen Seite kann es zu Hypersexualität kommen, in der Sexualität exzessiv und teilweise suchtartig ausgelebt wird.
  • Auf der anderen Seite berichten viele – insbesondere Frauen – von einem starken Konzentrationsmangel während des Sex und dem Gefühl, emotional nicht präsent zu sein.

ADHS-Frauen berichten häufig davon, dass sie:

  • sich beim Sex nicht fokussieren können,
  • gedanklich bei To-do-Listen, Einkäufen oder Alltagsplänen sind,
  • Reize von außen (Geräusche, Licht, Bewegung) schnell ablenken.

Dies führt zu einem eingeschränkten Lustempfinden und verhindert, dass Sexualität in ihrer vollen Intensität und Emotionalität erlebt werden kann.

3. Maßlosigkeit, Risikoverhalten und Sex als Rauschmittel

Viele ADHS-Betroffene zeigen in Bezug auf Sexualität:

  • Bindungsloses Verhalten,
  • schnellen Partnerwechsel,
  • Ausleben ungewöhnlicher oder riskanter Praktiken,
  • teils massive finanzielle Ausgaben für Pornografie, Escortdienste oder Online-Sexangebote.

Dabei steht oft nicht Nähe oder Intimität im Fokus, sondern:

  • der Kick,
  • die Grenzüberschreitung,
  • das schnelle Glücksgefühl.

Dieses Verhalten ist für Partner*innen schwer nachzuvollziehen – selbst wenn emotionale Bindung und Liebe in der Beziehung vorhanden sind. Die Sucht nach dem Neuen und der Fluchtreflex bei Langeweile führen nicht selten zu Untreue und instabilen Beziehungsmustern.

4. Sexsucht und Untreue – wenn Nähe zur Gefahr wird

Einige ADHS-Betroffene entwickeln eine sexuelle Suchtstruktur, in der sie sich:

  • in ständig neue Abenteuer stürzen,
  • ihre Impulse kaum kontrollieren,
  • und Grenzen immer weiter verschieben.

In der Partnerschaft führt das zu:

  • Vertrauensbrüchen,
  • emotionaler Verletzung,
  • und teils dauerhaften Beziehungsstörungen.

Nicht selten lieben ADHS-Betroffene ihre Partner aufrichtig – und stürzen sich dennoch in Affären, weil ihnen der emotionale oder sexuelle Reiz in einer sicheren, stabilen Beziehung fehlt.

5. Das andere Extrem: Verlust der sexuellen Lust

Genauso wie ADHS zu Hypersexualität führen kann, erleben manche Betroffene auch Phasen völliger sexueller Apathie:

  • Der Wunsch nach Intimität verschwindet,
  • Libido und Motivation sinken drastisch,
  • Sex wirkt wie eine Pflichtübung, nicht wie ein Erlebnis.

Gerade bei jüngeren ADHS-Frauen zeigt sich häufig ein geringes Körperbewusstsein, Unsicherheit im Umgang mit der eigenen Sexualität sowie eine mangelnde Kenntnis darüber, was ihnen selbst Lust bereitet.

Störfaktoren wie:

  • das innere Chaos,
  • ständige Ablenkung,
  • oder diffuse Schamgefühle können dazu führen, dass Sexualität nie richtig ankommt – weder emotional noch körperlich.

6. ADHS, Sexualität und Partnerschaft – eine Herausforderung auf vielen Ebenen

ADHS beeinflusst das sexuelle Erleben, das Verhalten in intimen Situationen und das emotionale Gleichgewicht in Beziehungen erheblich. Je nach Ausprägung der Symptomatik kommt es zu:

  • emotionaler Entfremdung,
  • fehlender Intimität,
  • oder destruktivem Risikoverhalten.

Für Partner*innen ist es oft sehr schwer, mit diesen Extremen umzugehen – insbesondere, wenn sie sich nach emotionaler Nähe, Verlässlichkeit und Vertrauen sehnen.

Fazit: Sexualität bei ADHS braucht Verständnis, Offenheit – und oft professionelle Begleitung

Die Spannbreite sexueller Verhaltensweisen bei ADHS ist groß – von völliger Abstinenz bis zur Sucht. Das macht den Umgang damit im Beziehungsalltag herausfordernd.

Was helfen kann:

  • Therapeutische Begleitung für beide Partner
  • Sexualberatung, insbesondere bei Lustlosigkeit oder Suchtverhalten
  • Förderung von Achtsamkeit und Körperbewusstsein
  • Offene, wertschätzende Kommunikation – ohne Scham und Schuldzuweisungen

Schlusswort: Verantwortung, Verständnis und ein bisschen Humor

Nur rund 5 % der Weltbevölkerung leben mit ADHS. Das bedeutet: Die überwältigende Mehrheit ist anders strukturiert, anders getaktet, anders wahrnehmend. Für ADHS-Betroffene ist es daher wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen:

„Ich bin nicht falsch – aber ich funktioniere anders.“

Doch dieses „Anderssein“ braucht Erklärung, keine Entschuldigung.

ADHS darf nicht zur Ausrede für verletzendes oder schwieriges Verhalten werden – aber es muss erklärt werden, damit Verständnis entstehen kann.

Wechselseitige Verantwortung – für ein gelingendes Miteinander

Angehörige und Partner sind nicht dauerhaft verpflichtet, alles zu tolerieren. Sie wünschen sich:

  • Verlässlichkeit,
  • Verantwortungsübernahme,
  • und echtes Bemühen.

ADHS-Betroffene wiederum dürfen erwarten, dass ihre Mitmenschen bereit sind, sich mit der Störung auseinanderzusetzen – um sie in ihrer Einzigartigkeit zu verstehen, statt sie nur nach äußeren Maßstäben zu bewerten.

Doch Verständnis ist keine Einbahnstraße:

Wer geliebt wird, trägt auch Verantwortung – besonders, wenn das eigene Verhalten wiederholt verletzt oder belastet.

Kleine Ärgernisse – große Wirkung

Es sind nicht immer die großen Dramen, die Beziehungen gefährden. Oft ist es die Summe kleiner Kränkungen und Reibungen, die sich über Monate oder Jahre zu einem emotionalen Ärger-Kloß verdichten.

Dieser „Kloß“ kann Liebe zerstören – oft langsam und schleichend, bis es schließlich zu spät ist.

Kommunikation mit Augenzwinkern – Humor als Brücke

Eine hilfreiche Strategie: In ruhigen Momenten gemeinsam humorvolle Codes und Signale entwickeln, mit denen Angehörige ADHS-Betroffene auf schwieriges Verhalten aufmerksam machen können – ohne Vorwurf, aber mit Klarheit.

Zum Beispiel:

  • „Chaosprinzessin“
  • „Chaotikus“
  • „Rumpelstilzchen-Modus aktiv“

Diese spielerischen Begriffe können helfen, kritische Themen zu entemotionalisieren – vorausgesetzt, sie sind vorher einvernehmlich abgestimmt. Wichtig ist:

Wenn man gemeinsam über ADHS lachen kann, ohne sich dabei lächerlich zu machen, wird vieles leichter.

Veränderung beginnt mit Rückmeldung

Es braucht nicht immer die große Diskussion. Oft genügt ein kurzer Hinweis, eine vereinbarte Geste oder ein Stichwort – um dem ADHS-Betroffenen zu signalisieren:

„Achtung, das war jetzt schwierig für mich.“

So entsteht eine achtsame Feedbackkultur, in der Verhaltensmuster erkannt und verändert werden können – ohne Streit, ohne Schuld, aber mit Wirkung.

Fazit: Liebe mit ADHS ist möglich – mit Humor, Verständnis und Entwicklung

ADHS bringt Herausforderungen mit sich – für alle Beteiligten. Aber mit Offenheit, gegenseitigem Respekt und ein bisschen Humor lassen sich diese Herausforderungen nicht nur bewältigen, sondern in echte Nähe verwandeln.

Denn am Ende zählt nicht die Perfektion, sondern:

  • die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren,
  • den anderen ernst zu nehmen,
  • und gemeinsam zu wachsen.

Quelle :https://praxis-neuy.de/adhs/adhs-und-partnerschaft/

Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz

Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Freie Psychotherapie Heft 06.21, Magazin des VFP „Ich kann das nicht. Ich habe ADHS“ Artikel v. Jörg Berberich